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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
60. Jahresband.1980
Seite: 270
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kasse oder durch die Chewre, den Wohltätigkeitsverein, unterstützt. Es gab eine
Männerchewre und eine Frauenchewre, die aus Spenden beim Gottesdienst
finanziert wurden.27 Bei der Unterstützung der Armen wurde auf große Diskretion
geachtet. Man war darauf bedacht, den Bedürftigen nicht in seinem
Ehrgefühl zu verletzen durch „unbewußte schimpfliche Gönnerhaftigkeit".28

Die Wohltätigkeit von privater Seite konnte sich auch auf Nichtjuden ausdehnen
, insoweit diese gewillt waren, Hilfe anzunehmen. Besonders die „frommen
"29 Juden befolgten die caritativen Gebote der jüdischen Religion. Über
Samuel Frank30, den Vater von Ludwig Frank, wird berichtet, er habe mancher
armen Bäuerin „unentgeltlich eine Kuh in den Stall gestellt", mit der einzigen
Auflage, diese müsse etwas mehr wiegen, wenn er sie nach einem Jahr
wieder abholen würde, um sie zu verkaufen.31 Die Christenfrau hatte die
Milch und konnte die Kuh als Zugtier benutzen. Auch der Jude hatte seinen
ökonomischen Vorteil aus der Sache; dies hatte jedoch auch die Wirkung, die
Bäuerin diskret aus ihrer Dankbarkeit gegenüber dem Wohltäter zu entlassen.

Soziales Ansehen

„Selbstverständlich waren manche Berufe angesehener als andere."

So gab es bei den Viehhändlern reichere, die selbst Vieh kauften und verkauften und unter Vorrat
im Stall hielten. Deren Prestige war natürlich höher als das der ärmeren Juden, die nur Verkäufer
und Käufer von Vieh unter den Bauern ausfindig machten und die Adresse den reicheren Händlern
vermittelten.

Wohlhabenheit allein war jedoch nicht mit sozialem Ansehen gleichbedeutend
. Sie mußte in den Augen der Umwelt mit Bescheidenheit, Fleiß und anderen
Tugenden gepaart sein.

Wer „riches machte"32, indem er seine Wohlhabenheit prahlerisch zur Schau trug, mußte mit der
Mißbilligung der Umwelt rechnen. Dementsprechend wurde „viel darauf geachtet was man
sagt", wie die anderen Dorfbewohner das eigene Verhalten interpretieren könnten, und man richtete
sich danach.

27 Wenn beim Gottesdienst am Sabbat die Thora ausgehoben wird, werden die Gemeindemitglieder
abwechselnd zur Thora aufgerufen. Das ist eine Ehre. Die aufgerufenen Mitglieder
lassen dann einen Segen halten für die Familie und die Gemeinde. Bei dieser Gelegenheit
wird auch geschnodert, also gespendet, und der Aufgerufene kann bestimmen, welcher Organisation
die Spenden zugewendet werden sollen,z.B. der Chewre.

28 Der Ausdruck stammt von Marcel Mauss, Gabentausch, in: Soziologie und Anthropologie,
Bd. II, München 1975, S. 123

29 siehe unten, S. 281

30 „Beide Eltern von Samuel Frank waren Nachfahren von Rabbinern." H. Kattermann,
a.a.O. S. 40.

31 H. Kattermann, a.a.O., S. 40. — Eine gute Beschreibung der Bedeutung dieser Einrichtung
jüdischer Hilfsbereitschaft findet sich bei Werner J. Cahnman, Village and Small-Town
Jews in Germany, A Typological Study, in: Publications of the Leo Baeck Institute, Year-
book XIX, Secker & Warburg, London 1974, S. 124

32 der deutsch-jüdische Ausdruck „riches machen" bedeutet „Antisemitismus hervorrufen".

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