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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
60. Jahresband.1980
Seite: 275
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war man sich dessen bewußt, daß hier eine Trennung der Welten bestand.
Man versuchte nicht, diese durch Anpassung auszugleichen, sondern bemühte
sich um eine Koexistenz in der Andersartigkeit, indem man seine christlichen
Freunde und Bekannten an den eigenen religiösen Bräuchen teilhaben ließ:
Verständnis für die Andersartigkeit durch Kulturkontakt!

Die „liberalen" Familien hatten sich dagegen weitgehend an die christliche
Lebensart angepaßt. Man versuchte, den Unterschied aufgrund der Religionszugehörigkeit
schwinden zu machen. Es blieb die Zugehörigkeit zu einem anderen
Berufszweig, dem Handel. Dieser wurde von den jüdischen Einwohnern
als „sehr notwendig" angesehen; man erfüllte eine wichtige wirtschaftliche
Funktion, die derjenigen der Bauern komplementär war. Man sah sich in wirtschaftlicher
Interdependenz.

Die religionsbedingte und berufliche Andersartigkeit der Juden war jedoch
normalerweise nicht eine Quelle ständiger Anfeindungen von seiten der Christen
. Die Kluft zwischen den Nonnenweierer Protestanten und den Katholiken
im Nachbardorf Meißenheim40 war „weit größer" und „führte laufend zu
Schlägereien". Wenn z.B. „ein Bursche aus Meißenheim versuchte, mit einem
Mädchen aus Nonnenweier .anzubendeln', wurde er von den Nonnenweierer
Burschen verprügelt". Eine kleine Gruppe junger Männer in Nonnenweier hat
sich „mit den Katholiken angelegt"; ein jüdischer Einwohner nannte sie die
„klaufim"41, die Hunde. „Bleib weg von diesen klaufim", pflegte er zu seinem
Sohn zu sagen. Diese haben immer „Händel" gehabt, „auch unter sich".
Mit den jüdischen Einwohnern hatten sie nicht mehr und nicht weniger Streit
als untereinander, hatten zum Teil freundschaftliche Beziehungen zu jüdischen
Einwohnern, die allerdings den weitgehend angepaßten, „nicht so koscheren
" Familien angehörten.

„Es gab nichts zwischen Juden und Christen." Allenfalls kam es hie und da
vor, daß ein Christ, wenn er einen Juden beschimpfen wollte, ihn „Judenstin-
ker" nannte. Dann hat man zurückgerufen: „Un Du bisch e
Chrischtestinker." Wenn „die gojim zum Militär gingen", haben sie sich Mut
angetrunken und zogen singend durchs Dorf: „Alle Jude stinke, alle Jude
stinke, nur die schöne Bella nicht . . ."4:, war eines ihrer beliebten Lieder.
Man hat dem weiter keine tiefgreifende Bedeutung beigemessen, hat es als
„Spaß" angesehen. Man hat nicht das Verhalten der Christen ständig darauf
hin absondiert, ob es etwa antijüdisch sein könnte. Man kannte jeden seiner
Mitmenschen, ob Juden oder Christen, und wußte woran man mit-jedem einzelnen
war.

40 In Nonnenweier selbst war die Mehrheit der Einwohner protestantisch. Nur eine ganz kleine
katholische Minderheit bestand. Im Nachbardorf Meißenheim war es genau umgekehrt.

41 jiddischer Ausdruck, Plural von kelef, Hund.

42 Die aus USA mit einer Tochter nach Nonnenweier zurückgekehrte Frau lebte allein und erwies
allem Anschein nach den jungen Männern ihre Gunst.

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