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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
60. Jahresband.1980
Seite: 300
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sen. Das Händlersein der Nonnenweierer Juden ist ein geschichtlich determiniertes
Faktum. Es sagt nichts aus über das Jüdischsein des Landjuden, sondern
„erklärt vielmehr das uralte Problem des physischen Überlebens, welches
allen Juden gemeinsam ist".95

Die Juden waren im Okzident während Jahrhunderten von der christlichen
Umwelt auf Handel und Geldverleih als materielle Existenzmöglichkeiten beschränkt
worden. Unter dem Druck der materiell beengten Umstände hatten
sie neue Handelsmethoden entwickelt, die auf den Widerstand der nichtjüdischen
Bevölkerung stießen, bis sie im XX. Jahrhundert ins allgemeine Wirtschaftsleben
übernommen wurden.

Die Juden, die zu Beginn des XVIII. Jahrhunderts nach Nonnenweier gekommen
waren, hatten im Dorf von Anfang an eine eindeutige, notwendige wirtschaftliche
Funktion. Im XIX. Jahrhundert erfolgte eine Differenzierung ihrer
Berufsstruktur im Zusammenhang mit der Judenemanzipation. Diese hatte
zunächst ein Hinführen der Landjuden zu „ehrbaren", „richtigen" Berufen
zum Ziel: Ackerbau und Handwerk. Erst mit der vollen bürgerlichen
Gleichberechtigung der Juden wurde deren allgemeine Niederlassungsfreiheit
und deren Betätigung in fast allen Berufen möglich. Die Nonnenweierer Juden
konnten das Dorf verlassen.

Unsere Gewährsleute, die Kinder der letzten Generation, die noch überwiegend
im Dorf blieb, waren von ihren Eltern bewußt auf eine den eigenen Möglichkeiten
und Fähigkeiten entsprechende Abwanderung vom Dorf vorbereitet
worden. Die Eltern legten Sparpfennige beiseite, um den Kindern eine bessere
Ausbildung zu ermöglichen oder ein Startkapital in die Hand zu geben. Die
durch frühzeitiges Thorastudium intellektuell geschulten jüdischen Kinder,
insbesondere die Buben, waren für eine höhere Schulbildung und auch für ein
Universitätsstudium gut vorbereitet. Sie ergriffen in der Stadt Berufe, die ihnen
eine materiell und sozial bessere und mehr gesicherte Existenz boten.

Während die ökonomische Seite der Identität des Nonnenweierer Juden durch
sein Händlersein bestimmt und erklärbar ist, läßt sich seine Gesamtidentität
nicht darauf reduzieren. Im Zusammenleben mit der Allgemeinheit der Christen
auf der Ebene, die von uns als „Komplementarität in den wirtschaftlichen
Beziehungen" bezeichnet wurde, steht die ökonomische Seite allerdings
im Vordergrund. Dementsprechend ist auch das Judenstereotyp der christlichen
Umwelt beschaffen, das seine Charakterisierungsmerkmale des Landjuden
aus der beruflichen Dichotomie Händler/Bauer bezieht. Dagegen wirken
auf der Ebene des „Miteinander", welche auf persönlichen zwischenmenschlichen
Beziehungen freundschaftlicher Natur beruht, die durch die jüdische Religion
mitbestimmten Merkmale jüdischen Seins mit hinein.

95 Emil Schorsch, The rural Jew — Observations on the Paper of Werner J. Cahnman, in: Pu-
blications of the Leo Baeck Institute, Year Book XIX, Secker & Warburg, London 1974, S.
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