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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
60. Jahresband.1980
Seite: 302
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1980/0304
Die Nonnenweierer Judenfamilien waren weitgehend miteinander verzweigt
und verwandt.103 Genauso verzweigt waren die Familien nach außen mit den
Familien der angeheirateten Frauen. Hierdurch wurde der Familienzusammenhang
und der Zusammenhang der jüdischen Gemeinde gefestigt und gewahrt
.

Die religiös bedingte Solidarität der Dorfjuden in der Wahrung des Zusammenhangs
äußerte sich auch in der Verantwortlichkeit aller Juden für einander
. Wohltätigkeit war im Dorf sowohl Angelegenheit der Allgemeinheit der
Juden als auch eine persönliche, zwischenmenschliche Pflicht, die im religiösen
Brauchtum verankert war.

III. Religionsausübung — „fromme" und „liberale" Juden

Allen Nonnenweierer Juden gemeinsam war ein Festhalten an einer überlieferten
Art der Religionsausübung, so wie diese einerseits von den Eltern und
Großeltern überkommen war und wie sie andererseits durch einen für alle verbindlichen
Konsensus innerhalb der jüdischen Dorfgemeinde festgelegt war.
Dieser Konsensus bestimmte das, was von allen zu tun oder zu lassen war, also
das Minimum der religiösen Praxis. Dagegen war das Maximum nach Familien
verschieden, d.h. je nachdem, ob man einer der „frommen", „liberalen"
oder „sehr liberalen" Familien angehörte, und dies sowohl was das Beibehalten
oder Aufgeben von religiösen Bräuchen betraf, als auch was die Intensität
der dahinterstehenden Frömmigkeit anbelangte.104

Kurz zusammengefaßt, läßt sich eine traditionsgebundene Frömmigkeit konstatieren
, welche noch von wenigen Familienvätern gewahrt wurde, deren Eigenidentität
prägte und sich auf ihr soziales Ansehen im Dorf positiv auswirkte
. Bei den übrigen Familien variierte die Beachtung oder Nichtbeachtung der
religiösen Tradition im Zusammenhang mit der ortsüblichen Norm, den innerfamiliären
Gegebenheiten und mit einer mehr oder weniger großen Distanz
zur sozialen Kontrolle.

Entsprechend sind bei den einzelnen Familien bzw. Individuen die Merkmale
der religiös bedingten kollektiven Identität der Nonnenweierer Juden mehr
oder weniger ausgeprägt: eine echte oder nur noch formale, individuelle und
kollektive Gottesverehrung „an sich" (tägliches Beten der Männer, Synagogenbesuch
am Sabbat und an Rosch Haschanah); eine Solidarität in der
Schaffung und Wahrung von sozialem Zusammenhang — in der Familie, in
der jüdischen Dorfgemeinde, in einer überregionalen Verankerung der Dorfgemeinde
—, die in den religiösen Bräuchen zum Ausdruck kommt.

103 Dies gilt auch für andere jüdische Landgemeinden. Vgl. Werner J. Cahnman, a.a.O., S. 123

104 In unserer Monographie haben wir diese Begriffe definiert und aufgezeigt, inwieweit die religiösen
Sitten und Bräuche durch „fromme", „liberale" und „sehr liberale" Juden in der
Praxis beachtet oder nicht beachtet wurden.

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