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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
60. Jahresband.1980
Seite: 364
(PDF, 71 MB)
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sie hinwegschweben könnte. Gerade Auswertung
und Zusammenschau dieser sehr verstreuten
Lokalgeschichte und -geschichten wäre eine
wichtige Aufgabe eines Handbuches zur badischen
Geschichte gewesen.

— Das Literaturverzeichnis hätte dringend einer
Überarbeitung bedurft, damit wäre die ärgerliche
Doppelaufnahme mancher Titel vermieden
und so Platz gewonnen worden für die
vergessenen Standardwerke, die einfach in die
Bibliographie eines Bandes hineingehören, der
Handbuch sein will.

— Das Kartenmaterial ist — von wenigen Ausnahmen
abgesehen — unbrauchbar, weil entweder
nur mit der Lupe zu lesen oder zu stark
vereinfacht. Was die moderne Kartographie im
Bereich historisch-politischer Themenkarten
alles vermag, belegen doch die Informationshefte
der Bundes- und Landeszentralen für politische
Bildung regelmäßig. War das für ein
Handbuch nicht möglich?

Es wäre ehrlicher gewesen, das Buch als Aufsatzsammlung
zur badischen Geschichte anzukündigen
(die einzelnen Artikel sind übrigens
aus einer Vortragsreihe an der Universität Freiburg
erwachsen); nur dann kann auch eine Besprechung
den Autoren und ihren Beiträgen
gerecht werden.

Eine im besten Sinne politische Verfassungsgeschichte
über Entstehung und Entwicklung des
Großherzogtums bis 1848 stellt der Beitrag von
Lothar Gall dar.2 Hier wird der schmale Grat
zwischen Revolution und Reaktion deutlich,
auf dem Monarch und Regierung vorwärtsschritten
, um aus dem von Napoleon zusammengewürfelten
und vom Wiener Kongreß bestätigten
Land so etwas wie eine staatliche Einheit
zu machen. Dabei rückte, begünstigt von
der Windstille des bis zum Aufstieg Napoleons
III. geschwächten Frankreichs, die Auseinandersetzung
zwischen Hof und Kammerliberalismus
immer stärker in den Vordergrund. In
dem Maße, wie nach 1848/49 Frankreich wieder
über die eigenen Grenzen hinausgriff,
mußte sich ein Mittelstaat wie Baden erneut an
eine Großmacht anlehnen und erwählte, innen-
wie außenpolitisch, Preußen.

Franz X. Vollmer (der auch die Bildredaktion
des Bandes besorgte) arbeitet die Grundzüge
der badischen Revolution von 1848/49 heraus,
ein angesichts der Fülle von Detailstudien dieser
relativ „dicht" erforschten Epoche nicht
ganz einfaches Unterfangen. Er untersucht die
Ursachen der Revolution, schildert den Ablauf
der Ereignisse und fragt nach ihren Nachwirkungen
. In der These, daß die Bedeutung der
sozialen Ursachen in einem Land mit überwiegend
agrarischer Bevölkerung eher gering zu
veranschlagen ist, kann man ihm sicherlich

zustimmen3. Die Revolution gewann ihre Antriebskraft
aus dem Spannungsverhältnis zwischen
„konstitutionellen Liberalen" einerseits
und Demokraten („Entschiedenen",
„Radikalen") andererseits, wobei sich der Autor
öfters auf den gemäßigten Liberalen Ludwig
Häusser beruft. Die folgende Reaktionszeit
kappte die „unmittelbaren Wirkungen der
badischen Revolution" (64), dennoch hebt der
Verf. die „Zeitlosigkeit und Aktualität der damaligen
Fragestellungen" hervor, die er allerdings
auf die Formel „parlamentarischer Weg
oder direkter Weg der Aktion" verkürzt. Das
wichtigste Ergebnis der Revolution war ihr
Scheitern, weil das gemäßigt liberale Bürgertum
aus übertriebener Furcht vor der Revolution
Angst vor der eigenen reformerischen
Courage bekam, sich unter die Fittiche der alten
konservativen Elite flüchtete und nationale
Ziele zum Dreh- und Angelpunkt seines politischen
Trachtens machte — und damit einen
verhängnisvollen Weg beschritt, der zum Abstimmungsverhalten
der bürgerlichen Parteien
beim Ermächtigungsgesetz 1933 führte.4
Bernd Ottnad untersucht die badische Geschichte
in der Zeit der Reichsgründung, des
Kaiserreichs und des Ersten Weltkriegs, einer
Zeit, in der das Eigengewicht der Region immer
mehr hinter dem der Nation zurückfiel. Es
ist schwierig zu definieren, was eigentlich noch
„badische" Geschichte ist; der Verf. hat die
Methode gewählt, die regionale politische Entwicklung
vor einem Resümee der Reichsgeschichte
zu skizzieren. Denkbar und vielleicht
auch fruchtbarer wäre, stärker lokale Geschichte
einzuflechten und auf die notwendigerweise
simplifizierende Darstellung des größeren
Bezugsrahmens zu verzichten.

Der große politische Konflikt im Baden der
zweiten Jahrhunderthälfte, der Kulturkampf,
wird in einem gesonderten Beitrag von Josef
Becker dargestellt. Anlaß für den badischen
Kulturkampf bildete das Schulaufsichtsgesetz
von 1864; die Auseinandersetzung wucherte
schnell über Regierung und Kirche hinaus und
erfaßte alle politischen Streitfragen, die
zwischen Nationalliberalen und politischem
Katholizismus ausgetragen wurden.

Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung
dieses Zeitabschnitts wird von Hugo Ott in einem
materialreichen Beitrag geschildert. Er beginnt
mit der Analyse der oft vernachlässigten
Zusammenhänge zwischen vorindustrieller
Massenarmut („Pauperismus") und der Revolution
1848/49 sowie der Auswanderung. Für
die Leser der „Ortenau" dürfte interessant
sein, daß die Industrialisierung und ihre sozialen
Folgen mit Tabellen aus dem Mittelrheinkreis
belegt werden. Aufmerksamkeit verdient

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