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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1983/0350
Begeisterte Amateurfilmer haben das Geschehen in ihren Gemeinden seit
Jahrzehnten in sogenannten „Jahresfilmchroniken" festgehalten. Mit der
Zeit, die zwischen Aufnahme und Vorführung liegt, wächst in der Regel der
historische Dokumentationswert solcher Filme. Filmmaterial etwa aus der
Zeit des Nationalsozialismus, mag es technisch noch so unzulänglich sein, besitzt
heute Aussagekraft von hohem Rang. Denn es vermag, etwas von der
Alltagsgeschichte zu zeigen und erzeugt jene Betroffenheit bei den Nachgeborenen
, die Geschichte zur unausweichbaren Angelegenheit macht. Wo Zeitgeschichte
als Teil der Heimatgeschichte erlebt wird, wo Geschichte in den vertrauten
Raum eingreift, wird sie als Teil der eigenen Identität erlebt: Tua res
agitur.

Bei den Heimatfilmen, die heute gedreht werden, stellt sich indes die Frage, ob
sie etwas von der Zeit und Zeitstimmung überhaupt einzufangen vermögen.
Beliebte Filmanlässe sind Vereinsfeste, Patrozinien, goldene Hochzeiten,
Fastnachtsumzüge, Ehrungen und Feiern aller Art. Im Mittelpunkt stehen
meist die Dorfhonoratioren, Pfarrer, Bürgermeister, Stadt- oder Gemeinderäte
, Vereinsvorstände, während die Bevölkerung eine Statistenrolle spielt. Die
Filme zeigen eine harmonische und intakte heile Welt, „Heimat" zeigt sich
von ihrer schönsten Seite. Fast scheint es, daß hier Werbefilme für den Fremdenverkehr
stilbildend geworden sind. Die Vorführung solcher Filme versetzt
den Zuschauer in ein schwermütiges Erinnerungsbad. Die Vergangenheit, mag
sie von den Betroffenen noch so leidvoll erlebt worden sein, verklärt sich zur
„guten alten Zeit".

Bei der Vorführung eines Films aus den 50er Jahren ist mir aufgefallen, daß
zwar der beflaggte Kirchturm und die Fronleichnamsprozession festgehalten
worden sind, nicht aber die damaligen Arbeitsvorgänge in der Landwirtschaft
. Wie wurde damals Wiesengras geschnitten, zu Heu verarbeitet und
eingefahren? Welche Werkzeuge hatte damals der alte Schuhmachermeister in
seiner Werkstätte, und wie ist er mit ihnen umgegangen? Wie sah die Schmiede
aus, in der die Zugtiere beschlagen wurden? Wie wurde in der Textil- und
Tabakfabrik damals gearbeitet? Ich meine, daß Heimatfilme allesamt zu wenig
vom Alltag, von der Arbeit, vom wirklichen Leben zeigen und stattdessen
dem Schein einer fest- und feiertäglichen Repräsentationsfassade verfallen.
Das Selbstverständliche, das banal Erscheinende ist es aber gerade, was am
meisten „Wirklichkeit" ist. Die Machart der Heimatfilme erklärt sich zum
Gutteil daraus, daß die Produzenten Filmamateure sind, für die in erster Linie
die Freude am schönen Motiv und an der filmischen Technik im Vordergrund
steht.

Wenig wahrgenommen werden in diesen Heimatfilmen auch die Veränderungen
der Umwelt. Fast zufällig war im obengenannten Film beim Umzug der alte
Dorfkern zu sehen, die Fachwerkhäuser, die inzwischen abgerissen sind, die
Bäume, die der Straße zum Opfer gefallen sind. Was damals einst nebensäch-

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