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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1985/0235
Mein Gegenkandidat und seine Agenten haben sich diese Logik sehr zu Nutzen gemacht
. Sie versprachen Erhöhung aller Zölle und noch neue Zölle auf alles, was gerade
in dem Dorfe, wo sie Versammlung hielten, gebaut wird. Da gab es Zölle auf Kartoffeln
und Rüben, Zölle auf Weißkraut und Meerrettig!. . . . Warum bin ich nicht auch
ein Schutzzöllner? Ich hätte herrliche Geschäfte machen können. Namentlich in einem
großen Dorfe mit beinahe einem halben Tausend Wähler. Der Ort pflanzt und versendet
viel kleines Gemüse in eine nicht zu weit entfernte große Stadt. Wenn ich den Bewohnern
einen Zoll auf Zwiebeln, Knoblauch, Petersilie und Sellerie versprochen hätte
, so wäre mir keine Stimme entgangen. So aber erhielt ich dort drei, sage drei Stimmen
. Ich spreche den Abgebern dieser drei Stimmen hiermit öffentlich meinen Dank
aus; ihre hartnäckige Anhänglichkeit hat mich um so mehr gerührt, als ich wohl bemerkt
habe, daß manche, die sich vorher als meine Anhänger gebärdeten, von mir abfielen
, als sie erfuhren, daß ich keine Taschen voll Schutzzölle mitgebracht hatte. Mein
Gegenkandidat und seine Agenten scheinen auch hier weniger skrupulös gewesen zu
sein; wenigstens ist dies aus der kolossalen Zahl von Stimmen zu schließen, die ihre Partei
an diesem Ort erhalten hat. Ich brauche ihnen keinen guten Rat zu geben; sie werden
schon selbst so vorsichtig sein und sich in dem Dorfe nicht mehr sehen lassen,, wenn es
sich herausstellt, daß es mit dem Zwiebel- und Petersilienzoll nichts ist. . ." Hörth
fand aber auch die Ausnahme unter den Bauern, einer der vorgab, „absoluter Freihändler
" zu sein. Alles müsse zollfrei sein: „nur einen Mehlzoll müssen wir unbedingt
haben, und wenn Sie diesen nicht befürworten, so kann ich nicht für Sie stimmen."
Der Mann war — ein Müller.

Neben den politischen Verketzerungen, mußte auch die Person Hörths herhalten:
„Man muß auch vorsichtig sein in der Wahl seiner Gegenkandidaten. Mein Gegenkandidat
war unglücklicherweise ein Bauer, und als die Wähler erfuhren, daß ich weder
Korn und Kartoffeln baue, noch etwas vom Dung verstehe, da war es um mich geschehen
. Wir Bauern müssen einmal einen Bauern in den Reichstag schicken, das war das
Losungswort, das mich um das Mandat brachte."

Die humorvolle Erzählung Hörths mit den interessanten psycho- und soziologischen
Aspekten darf nicht darüber hinwegtäuschen, welch schwere körperliche
Arbeit unser Kandidat zu leisten hatte:

„Ich habe in vierzehn Tagen fünfundzwanzig Versammlungen gehabt und mindestens
vierzig Reden gehalten; ich bin bei Wind und Wetter, bei Nässe und Kälte, bei Nacht
und Nebel gefahren oder auf so schmutzigen Wegen gegangen, daß ich immer die halbe
Straße an meinen Stiefeln mitschleppte; ich habe bei jedem Wirt, wo Versammlung
war, gegessen und getrunken, so daß ich oft an einem Abend zwei und drei Mal zu
Nacht gegessen und zehnerlei Bier und Wein, alten und neuen, untereinander getrunken
habe, wobei ich wohlweislich alles lobte, was ich genoß; ich habe mich in engen,
dumpfen, qualmigen und überheizten Lokalen herumgedrückt und geschwitzt, die
Kleider beschmutzen und den Hut bis zur Unkenntlichkeit zerknittern lassen; ich habe
mich nach den Feldarbeiten erkundigt, nach Weib und Kind gefragt, schwielige Hände
hundertweise gedrückt und vieltausendmal mit einschmeichelndster Höflichkeit,Meine
Herren' gesagt — alles umsonst. Ich habe sogar das Schwerste vollbracht: ich habe gegen
das Tabakmonopol gesprochen. Wenn man in einer engen Wirtsstube steht und
darin wie die Heringe in einer engen Tonne geschichtet die Bauern sitzen, jeder eine
dampfende Pfeife im Mund, der Redner selbst kein Raucher, in der Stube ein ersticken-

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