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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1985/0266
gerade durch die polnischen und russischen Arbeiter, die sich teilweise noch
monatelang im Kinzigtal aufhielten, zahlreiche Übergriffe hinnehmen"11. Am
1. November 1945 wurde in Hofstetten von Polen sogar ein Bauernhof angezündet100
. Zu größeren Ausschreitungen kam es in Welschensteinach, wo der
NS-Ortsgruppenleiter, der NS-Bürgermeister, der Oberlehrer, der zugleich
stellvertretender NS-Ortsgruppenleiter war, sowie der Wirt des ,,Badischen
Hofes" von Polen in den letzten Apriltagen 1945 schwer mißhandelt
wurden101.

Für die ehemaligen Nazi-Größen des Kinzigtals begann eine schwere Zeit. Viele
wurden verhaftet und teilweise monatelang in einem Internierungslager in
Lahr-Dinglingen eingesperrt. Anfang Mai 1945 wurden die ehemaligen führenden
Nazis aus dem Raum Haslach, die von den Franzosen in Haft genommen
worden waren, auf dem Klosterplatz in Haslach von den französischen
Insassen der beiden KZ-Lager „scharf exerziert', wie ein Augenzeuge berichtete102
.

Abgesetzt wurden von den französischen Militärbehörden sofort alle NS-Bürgermeister
und NS-Gemeinderäte und durch politisch unbelastete Männer
ersetzt. In Haslach wurde der Landmaschinenvertreter Julius Münzer zum
Bürgermeister ernannt. Er war mit einer Französin verheiratet103. In Hausach
wurde von den Franzosen als Bürgermeister der Lehrer und Hitlergegner Paul
Rist eingesetzt104. In den ersten Tagen der Besatzungszeit wurde die Bevölkerung
durch Anschläge von den Anordnungen der französischen Militärbehörden
in Kenntnis gesetzt105; denn es gab monatelang im Kinzigtal keine Zeitungen
. Ausgangs- und Sperrzeiten wurden bekanntgegeben. Niemand durfte seine
Gemeinde verlassen. Die erste Anordnung der französischen Besatzungsmacht
, bereits einen Tag nach der Besetzung lautete: „Alle Partei- und Uniformstücke
, alle Waffen und Munition, alle Ausrüstungsgegenstände, Radioapparate
, Photoapparate, Ferngläser sind im Rathaus abzugeben. Es betrifft
dies auch die versteckten und eingegrabenen Gegenstände. Wer bei Kontrollen
mit diesen Gegenständen gefaßt wird, wird erschossen106."

Die wildesten Gerüchte kursierten in den Mai- und Junitagen des Jahres 1945
im Kinzigtal. So wurde unter vorgehaltener Hand erzählt, Kämpfe zwischen
amerikanischen und französischen Truppen fänden in Stuttgart, Karlsruhe
und Freiburg statt. Ein Krieg zwischen den USA und der UdSSR stünde kurz
vor dem Ausbruch. Alle Kinder zwischen acht und vierzehn Jahren würden
nach Sibirien verschleppt; dafür kämen französische Kinder nach Deutschland
. Noch größere Blüten der Phantasie sind in den folgenden Gerüchten zu
erkennen, sie legen aber auch Zeugnis ab für das damalige deutsche kollektive
schlechte Gewissen: Alle Deutschen der Jahrgänge 1910—1925 würden
zwangssterilisiert. Heiraten in Deutschland werde verboten. Entsprechende
Plakate seien in Stuttgart gesehen worden. Die deutsche Kultur werde vernichtet
. Die deutschen Bürgermeister würden durch Juden ersetzt, die aus Konzen-

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