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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
66. Jahresband.1986
Seite: 70
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von einer „wandelnden Zyklopen-Werkstätte", von einem „furiosen Drachen
"27. So real die Eisenbahn ist und so realistisch ihr Nutzen eingeschätzt
wird, die Anziehungskraft, die sie auf das Bewußtsein und Unterbewußtsein
der Menschen ausübt, ist derjenigen eines Kunstwerkes vergleichbar. Raum-
und Zeitgefühl erfahren eine revolutionäre Verwandlung. Die neue Geschwindigkeit
erscheint als Phantasieprodukt. Mit Verwunderung konstatiert man,
daß das Wunder real ist. Die Wirklichkeit wird zum Wunder.

„Seht, dort fliegt er heran, der Zug der Wagen, und vor ihm
dampfend aus hohem Schlot braust die mechanische
Kraft"28.

Solche Trivialpoesie, hier gedichtet von C. M. Winterling zur Eröffnung der
Bamberger Bahn 1844, illustriert die Schwierigkeit, eine bisher nicht gekannte
Wahrnehmung angemessen zu artikulieren; doch wird zugleich der tief-prä-
gende Eindruck der Eisenbahn bei aller Unbeholfenheit von Sprache und
Form deutlich.

Erst impressionistische, expressionistische und surreale Gestaltungsprinzipien
verhelfen dem Medium „Eisenbahn" schließlich zu einer poetischen Form,
die seiner „Flüchtigkeit", Geschwindigkeit, seinem transitorischen Charakter
mehr entsprechen. Frühe Versuche ebnen den Weg.

Emanuel Geibel, 1864:

„Das Dampfroß schnaubt entlang der Halde,

Da, plötzlich, öffnet sich das Thal,

und ferne dämmert über'm Walde

ein Schloß empor im Abendstrahl.

Mit Thurm und Erkern seh' ich's ragen,

es naht, es grüßt, es fliegt vorbei; —

mir aber träumt von alten Tagen,

von einem schönen Monat Mai29."

Hier kann man erkennen, wie sich Bestehendes, Ganzheitliches unter dem
Einfluß der Eisenbahn auflöst und vorüberzieht, ..." es naht, es grüßt, es
flieht vorbei ..."

In Gottfried Benns 1912 erschienenen Gedicht „D Zug" — Menschen, die aus
der Sommerfrische in die Stadt zurückkehren —, wird die Auflösung der Einheit
von Raum und Zeit durch den dahinrasenden Zug in Form einer dichterischen
Montage von Wirklichkeitsbruchstücken eingefangen.

„Braun wie Cognac. Braun wie Laub.

Rotbraun. Malaiengelb.

D-Zug Berlin-Trelleborg und die Ostseebäder.

Fleisch das nackt ging.

Bis in den Mund gebräunt vom Meer.

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