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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
68. Jahresband.1988
Seite: 375
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in Zell stellten, befürchteten den Verlust der Selbständigkeit durch die Krise
und suchten einen radikalen Ausweg. Ähnlich ging es den Angestellten, die
sich bewußt von den Arbeitern absetzen wollten und dabei den Verlust der Solidarität
innerhalb des Arbeitermilieus in Kauf nahmen. Auch diese Schicht
war besonders für die nationalsozialistische Propaganda anfällig.124

Die Bereitschaft weiter Teile der Bevölkerung, für Parteien zu stimmen, die
die parlamentarische Demokratie ablehnen, kann nicht nur mit Krisenzustän-
den erklärt werden, da die wirtschaftlichen Verhältnisse in anderen Ländern,
wie z. B. in Frankreich, keineswegs besser waren, ohne daß dort die radikalen
Parteien zu solcher Macht gelangten. Das Ende der Weimarer Republik zeigt
vielmehr ein Strukturdefizit der deutschen Gesellschaft auf, das durch den
„verspäteten" Weg zur Demokratie entstanden ist und insbesondere verhinderte
, daß die konservativen Eliten dem pluralistischen und demokratischen
Staatswesen gegenüber positiv eingestellt waren.

Auch in Zell waren die Bürger immer weniger bereit, in den parlamentarischen
Gremien und in den Diskussionen zwischen den Gruppen zu Kompromissen
zu gelangen. Parlamentarische Vertretung bedeutete Interessenvertretung
; anstatt aufeinander zuzugehen, wurde eher ein Konfrontationskurs bevorzugt
. Wenn keine politischen Lösungen mehr erreichbar schienen, ließ
man, wie zu Zeiten des Obrigkeitsstaates, die Beamten per Notverordnung alleine
entscheiden.

Das Dilemma der Kommunalpolitik, angesichts der dringenden Not keine Hilfe
leisten zu können, überschattete in den letzten Jahren der Weimarer Republik
die Rivalitäten von Personen und Richtungen. Diejenigen, die als
Hoffnungsträger auftraten, beteiligten sich nicht an der nüchternen Suche nach
Lösungsmöglichkeiten. Die Nationalsozialisten hatten für die kommunalen
Probleme keine Lösungen; sie beschäftigten sich kaum damit. Andererseits
waren die Verantwortlichen nicht in der Lage, dem Begeisterungstaumel der
jüngeren Generation für die neue Bewegung etwas Entsprechendes entgegenzusetzen
. Von Jugendorganisationen der demokratischen Parteien ist nirgends
die Rede. Kommunalpolitik ging an den Jüngeren vorbei und, von der katholischen
Kirche abgesehen, bekümmerte sich niemand um die Tatsache, daß diese
Generation bevorzugt verfassungsfeindliche Parteien wählte und sich in
ihnen organisierte. Hier wird auch deutlich, daß die Schule nicht die ihr aufgebürdete
Aufgabe, im Sinne von demokratischem Engagement zu erziehen, erfüllen
konnte oder wollte. Ein Großteil der Lehrerschaft war dem konservativen
Geist des Kaiserreichs verhaftet und stand im Bann der in Schulfragen
noch einflußreichen Kirche.125 Der Fall des Zeller Stadtpfarrers Dr. Peter ist
insofern typisch, weil er einen pädagogischen Führungsanspruch des Klerus
zumindest im ländlichen Bereich dokumentiert, der eher der Demokratie entgegenlief
. Autorität und Unterordnung als Leitziele ließen sich leicht von einer
Führung mißbrauchen, die auch emotional der Jugend den Weg aus der Krise
zu zeigen versprach.

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