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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
68. Jahresband.1988
Seite: 486
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letztes Mal 1925. Es war wie eine Erfüllung und Vollendung. Aus der Vielfalt
der Ereignisse während dieser Frankreichreise 1925 greifen wir noch zwei
Themen heraus und berichten von einer amüsanten Szene in Paris und einer
kurzen Fahrt nach Straßburg:

— Zu den kleinen literarischen Köstlichkeiten deutscher Sprache gehört sicher
„Ein Vormittag beim Buchhändler" von Carl J. Burckhardt27; er beschreibt
sein Zusammentreffen mit Rilke 1925 in Paris (wo der Historiker und künftige
Diplomat Studien in der Bibliotheque Nationale betrieb) und seine Hilfe, als
er den Dichter aus der Bedrängnis eines Friseursalons befreien konnte: Rilke
war außerstande, dort das Haarschneiden, das Haarwaschen, vor allem aber
das teure Haarwasser von ,Houbigant' zu bezahlen, weil er seine Brieftasche
im Hotel vergessen hatte; aber dies wollten ihm die Pariser Haarkünstler ganz
und gar nicht glauben.28 Nun, nachdem Burckhardt die Lage mit seinem Geld
bereinigt hatte, gingen die beiden zusammen in die Buchhandlung des Monsieur
Augustin, wo es mit dem netten Lucien Herr aus Straßburg, dem Buchhändler
und Bibliothekar an der Pariser Ecole Normale Superieure, zu jenem denkwürdigen
Gespräch kam über Typisches der europäischen Nationalliteraturen,
über den „deutschesten", den „französischsten" Dichter — mit dem Konsens,
daß La Fontaines Fabeln „immer verständlich und ganz einfach richtig und
völlig wahr" erscheinen. Rilke: „Nein, in dieser Weise gibt es nichts, was ihm
zur Seite zu stellen wäre, vor allem nicht im Deutschen." Dem widersprach
freilich der französisch-elsässische Bibliothekar entschieden: „Ich kenne einen
deutschen Dichter, der ist wie ein junger Bruder von La Fontaine." Und er
nannte Johann Peter Hebel und zitierte gleich „Z'Müllen an der Post, Tausig-
sappermost...". Rilke reagierte traurig und betroffen: „... ich kann es kaum
verstehen, das ist alemannisch." Er wollte sich spontan helfen, indem er sich
eine Hebel-Übersetzung vornahm — und sich rasch belehren lassen mußte, daß
Hebel unübersetzbar sei. Deshalb der Entschluß Rilkes und seine Bitte: „Ich
werde mich in diesen Hebel vertiefen, aber dazu brauche ich eine ganze Zeit

— nur mit ihm allein und vielleicht lieber hier in Paris als in Deutschland, wo
man ihn in eine falsche Heimatkunst einspannen wird, wie man jetzt bei allem
gerade das Äußerlichste und Zufälligste zum Wesentlichen zu machen versucht
, denn nicht wahr: nicht daß dieser Mann im Dialekt gedichtet hat, sondern
daß der Dialekt in ihm dichterisch geworden ist, das ist das Entscheidende
. Sagen Sie doch einmal den Vers, den Sie so besonders schön fanden!"
Und Lucien Herr zitierte noch einmal die prächtigen Hebel-Verse: „Der Vogel
schwankt so tief und still, und weiß nit, woner ane will..." Rilke folgte aufmerksam
, aber auf sein bekümmertes „Ich verstehe das ,ane' nicht" konnte
ihm niemand mehr weiterhelfen. — Die letzten Geheimnisse der alemannischen
Sprache sind Rilke also wohl verborgen geblieben, obwohl Dieter
Bassermann29 z. B. nachgewiesen hat, daß um jene Zeit in einem Gedicht Rilkes
erstmals und auch einmalig das sicher rein alemannische Wort „Blust" aufgetaucht
ist.

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