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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
69. Jahresband.1989
Seite: 501
(PDF, 111 MB)
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Wie die Grenzen fallen

Festvortrag zum 125jährigen Jubiläum des Mörstadt Verlags
am 4. Juni 1988

Andre Weckmann

Grenzreflexe

Man hat mich um einen literarischen Ausklang gebeten. Was kann nun Literatur
hier an der Grenze anderes sein als Literatur über die Grenze — zumindest
wenn Literatur Verarbeitung von Gewesenem, In-Frage-Stellung
von Gegenwärtigem und Kreation von Utopien sein will.

Die Grenze also, die in allen grenzüberschreitenden offiziellen Zusammenkünften
auf oft pathetische Art weggeredet, weggesungen, weggetrommelt
und -geblasen wird. Die Grenze, die sich dennoch nicht wegdenken läßt: ihre
Pfähle sind tief eingerammt, tief im Rheinkies verwurzelt. Und wenn es
mal gelingt, den einen oder den anderen abzusägen, schlägt er sofort wieder
aus. Zugegeben, es gibt Lücken in diesem Zaun, durch die man hindurchschlüpfen
zu können glaubt. Da rennt man aber an die andere Sorte von
Pfählen, an die unsichtbaren, und die federn genauso hinterhältig zurück
wie die sichtbaren.

Grenze: in den Köpfen, im Habitus, in den Usancen, in den kulturellen Reflexen
. In den Sprachgewohnheiten besonders: Ihr Deutsch ist nicht unser
Deutsch. Ihr Deutsch ist verarmtes Elsässerdeutsch und/oder neutrales
Schuldeutsch. Ihr Deutsch ist uns fremd, fremdes Mediendeutsch, fremdes
Geschäftsdeutsch. Da kommt unsereiner nicht mit ... So jedenfalls denkt
Pierre Muller aus dem Elsaß. Und so denkt auch Peter Müller aus Baden,
nur mit umgekehrten Vorzeichen. Und hängt noch das ihm gänzlich unbekannte
Französisch an. Wenn Pierre Muller von den badischen Müller
spricht, sagt er: die Deutschen. Wenn Peter Müller von den elsässischen
Mullers spricht, sagt er: die Franzosen. Beim Glas Riesling allerdings und
falls beide noch ein wenig Mundart sprechen, wird der Graben vorübergehend
mit Alemannismen zugeschüttet. Der jeweilige nationale Alltag baggert
ihn dann wieder aus.

Grenze: Begrenzung meines Horizonts. Diesseits leben wir, jenseits leben
andere. Nicht unbedingt Freunde, nicht unbedingt Feinde. Andere eben.

Grenze: Abgrenzung. Die Angst, vereinnahmt zu werden. Ich heiße Pierre
Muller, nicht Peter Müller — wenn ich ursprünglich auch so geheißen habe.
Aber das ist Vorgeschichte.

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