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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
73. Jahresband.1993
Seite: 506
(PDF, 129 MB)
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sinnlose Blutbad diente nur vordergründig dem Zweck, sich auf der Flucht
nicht mit Arbeits- und Transportunfähigen zu belasten. Es bäumte sich hier
der zwölf Jahre lang aufrecht erhaltene Anspruch, ein Volk von Herrenmenschen
zu sein, ein letztes Mal auf und versicherte sich seiner Macht
über Leben und Tod, indem er für die unabwendbare Niederlage Rache an
Wehrlosen nahm. Noch am selben, einigen Zeugen zufolge erst am nächsten
Tag marschierten die Häftlinge zum Bahnhof, wo für sie der Bauzug
bereitstand. Der Blockälteste Willi Lemke, der nach der Mordtat offenbar
weitergetrunken hatte, starb bald nach der Abfahrt aus Offenburg an Alkoholvergiftung
. Ob, wie zwei Zeugen aussagten, SS-Leute zuerst beim Appell
auf dem Kasernenhof einige Häftlinge erschossen, weitere, die von
Artilleriefeuer getroffen worden waren, dann auf dem Marsch zum Bahnhof
, konnte nicht ermittelt werden. Auch für eine Reihe von Morden auf
der Fahrt nach Donaueschingen, an die sich mehrere Zeugen erinnerten,
fanden sich keine übereinstimmenden Aussagen.

In Donaueschingen mußten die Häftlinge den Zug verlassen und wurden
für einige Tage im ehemaligen RAD-Lager in Hüfingen inhaftiert. Dort tötete
die SS weitere drei Häftlinge. Einem ungarischen Juden, der sich wegen
hohen Fiebers arbeitsunfähig gemeldet hatte, schlug ein Kapo mit einem
Knüppel auf den Arm, gegen Mitternacht erschien ein Angehöriger
der SS-Wachmannschaft und erschoß ihn mit seiner Pistole. Die Leiche
ließ er in die Lagerlatrine werfen, wo französische Soldaten sie am 15. Mai
entdeckten. Gleichzeitig bargen sie die Leiche eines Russen, die Bauchschüsse
aufwies. Das Sterberegister weist außerdem die Leiche eines
Ukrainers aus, die Einschüsse an Mund und Schläfe aufwies; angeblich
soll ihn die SS „auf der Flucht erschossen" haben. Am 20. April fuhr der
Zug mit den Häftlingen von Donaueschingen ab, blieb aber nach wenigen
Kilometern mit beschädigter Lokomotive bei einer Brücke in der Nähe von
Geisingen in einem Tieffliegerangriff liegen133. Es kursierten Gerüchte,
daß alle Gefangenen ermordet werden sollten134. Einem Teil der Häftlinge
gelang während des Beschüsses die Flucht, andere marschierten zunächst
unter Bewachung durch einen Wald, bis die Wachen den Häftlingen auf
deren Verlangen ihre Waffen aushändigten. Wieder andere berichten, daß
die Bewacher plötzlich verschwunden gewesen seien.

Bei einer Gruppe von Flüchtlingen befanden sich Sigmund Nissenbaum
und sein Bruder Joseph: „Wir waren etwa zehn Mann, darunter auch mein
Bruder. Ich nahm aus dem Zug noch einige Aktentaschen mit, in welchen
SS-Papiere und Häftlingslisten waren. Ebenso eine Tasche mit Verpflegung
sowie den Mantel des Hauptsturmbannführers Meier. (Auf einer
Häftlingsliste war vermerkt, daß die 42 in Offenburg ermordeten Häftlinge
an „Herzschlag" verstorben seien.) Am nächsten Tag liefen wir im Schutz

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