Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
73. Jahresband.1993
Seite: 557
(PDF, 129 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1993/0557
dieses Gebot übertritt. Und da sie sich dank des Vogelnests unsichtbar
machen kann, fällt es ihr auch nicht schwer, jederzeit an der Seite ihres
Geliebten zu erscheinen. Außerdem versetzt es sie in die Lage, vornehmen
Herrschaften Kleider, Schmuck und Bargeld zu entwenden und damit ihren
Geliebten zu beschenken.

Auch der Umstand, daß der Bäckenknecht einen Geistlichen zu Rate zieht,
ist bei Egenolf vorgebildet. Dagegen fehlt bei Grimmelshausen ganz das
Motiv der menschlichen Rivalin, was auch verständlich ist, da Minolanda
kein Elementarwesen, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut ist. Die
einzige übernatürliche Eigenschaft, die sie besitzt, ist ihre Fähigkeit, sich
unsichtbar zu machen, weshalb sie auch nicht als Betrügerin, Ehebrecherin
oder Mörderin hingerichtet wird, sondern als Zauberin auf dem Scheiterhaufen
endet. Der Bäckenknecht nimmt dagegen wie sein literarisches Vorbild
, der Ritter von Staufenberg, ein christliches Ende.

„Melusina travestita" habe ich meinen Aufsatz überschrieben, weil nicht
nur die Heldin eine travestierte Melusine ist, sondern weil die ganze Geschichte
als eine Travestie, eine humoristische Umformung eines ernsten
Werkes zu verstehen ist. Die adligen bzw. übernatürlichen Personen der
Vorlagen wurden zu Alltagsmenschen; Mythologie, Mystik, Martenehe
und Erlösungsproblematik sind zu einem Kriminalfall degradiert; Liebe ist
nur ein Vorwand, um einen einfältigen Bäckersgesellen zum Narren zu halten
. Das Ganze ist eine Maskarade, ein Spiel, das die Leierin mit dem
Bäckenknecht und Grimmelshausen mit seinen literarischen Vorlagen
treibt, frei nach dem Motto „Scherz, Satire, Ironie", allerdings ohne tiefere
Bedeutung.

VII Das Weiterleben des Staufenberger-Stoffs in der Literatur
nach Grimmelshausen

Grimmelshausens Travestie aus dem Jahr 1670 bildet, was die literarische
Rezeption von Egenolfs Versnovelle angeht, einen vorläufigen Endpunkt.
Das 18. Jahrhundert war an mittelalterlichen Stoffen nicht besonders interessiert
, Wasserfrauen und andere Elementarwesen paßten nicht in das
Weltbild der Aufklärungszeit.

Dies ändert sich erst wieder gegen Ende des 18. Jahrhunderts, mit der Epoche
des Sturm und Drang, als Herder in seiner Anthologie „Stimmen der
Völker in Liedern" (1778/79) die Volkspoesie als Ursprung aller Dichtung
entdeckt und Goethe in Straßburg die gotische Architektur als Ausdruck
deutscher Baukunst propagiert. Neben seinen Dramen „Götz von Berli-

557


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1993/0557