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der Photographen herauszufinden und sie
mit den erklärenden Texten und dem eigenen
Vorwissen zu vergleichen. Was z. B.
bedeutet der Schweinehirt für die Ottenau
? Er darf sich immerhin auf dem Buchdeckel
präsentieren. Gerichtsprozesse und
Tätlichkeiten um die Eichelmast waren
längst aus der Mode gekommen, aber bis
in die späten dreißiger Jahre hinein versorgten
Schweinezüchter die ländliche
Bevölkerung mit wichtigen Grundnahrungsmitteln
. Daß der Hirt seine Tiere
noch 1959 durch den Ort treibt, verwundert
allerdings sehr, mißt man doch zur
selben Zeit auf einer anderen dörflichen
Hauptstraße mit das höchste Verkehrsaufkommen
an Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik
. Beides gehörte eben damals
zur Ortenau.
Manchmal lassen Kleinigkeiten den ersten
Eindruck fragwürdig erscheinen. Auf der
Photographie „Feierabendharmonie in der
Bauernstub" (S. 118) hängt unter einem
Spiegel ein Hitlerbild in Postkartengröße.
Wird es durch den gemessenen Abstand
vom reich ausgestalteten Herrgottswinkel
„unschädlich" gemacht oder blickt es auf
den vom NS-Kulturwart um den Tisch arrangierten
„Bauernadel"? Die photographische
Aufnahme als historische Quelle
zeigt ihre Tücken.
Die Autoren sprechen im Einleitungskapitel
das Problem der Nostalgie mit ihren
möglichen Fehldeutungen der Vergangenheit
an und kommen zu abgewogenen,
überzeugend formulierten Schlußfolgerungen
. Sie hätten dabei auch auf viele in
ihrem Buch abgebildeten Menschen hinweisen
können, auf „Frauen im Dorf (S.
64) zum Beispiel, ein vortrefflich - auch
die ausgetretenen Stufen und die
schwarze Haustüre sind einbezogen - in
Szene gesetztes Motiv: drei Frauen voll
Würde und Gelassenheit, aber ohne Sentimentalität
und fern jeder heilen Welt.
Unzählige Bezüge kann man herstellen,
wenn man sich auf das Material des Buches
einläßt, und viele Heimatfreunde
werden sich über diesen Band freuen, die
Historiker natürlich und die Volkskundler,
aber auch der ernsthafte Photograph kann
für seine Arbeit viel lernen und wird den
Herausgebern dankbar sein.
Karl Maier
Koch, Dieter (Hrsg.), Gustav Greiffen-
hagen, Reden und Schriften 1931-1961
(Reihe Hospitium Ecclesiae Bd. 20)
Herausgegeben von Dieter Koch erschien
Ende 1995 ein in Süddeutschland kaum
beachtetes, wichtiges Buch: „Gustav
Greiffenhagen, Reden und Schriften
1931-1961 (Reihe: Hospitium Ecclesiae
Band 20)".
Der 1902 in Hannover geborene Theologe
Gustav Greiffenhagen wurde 1931 an die
Stephanie-Gemeinde in Bremen gewählt.
Er amtierte dort - mit kriegsbedingten
Unterbrechungen - die folgenden Jahrzehnte
. In den Predigten, Reden und Aufzeichnungen
dieses streitbaren Protestanten
spiegeln sich in großer Farbigkeit die
Endzeit der Weimarer Republik, der NS-
Staat und der Kirchenkampf sowie die
wiedererstehende (westdeutsche) Republik
.
Als Lutheraner blieb er vielen Irrtümern
fern, denen viele seiner Amtskollegen am
Ende der Weimarer Republik und zu Beginn
des Dritten Reiches erlagen. In dem
von Diether Koch ausgezeichnet editierten
und kommentierten Buch finden wir z. B.
bereits 1932 die entschiedene Ablehnung
der Lehre von der „arischen" Rasse. Folgerichtig
nahm Greiffenhagen auch gleich
1933 entschieden gegen die Kirchenpolitik
der „Deutschen Christen" Stellung.
Orientierung gab ihm - wie vielen Opponenten
des NS-Regimes in jener Zeit - der
Theologe Karl Barth. Trotz dieser Orientierung
bleiben seine Interpretation des
Judentums sowie die Frage der Judenchristen
(aus heutiger Sicht) noch erstaunlich
der Zeit verhaftet - wenn sie sich auch für
den Kenner des Kirchenkampfes in vielen
Punkten wohltuend von anderen Strömungen
abheben. Dieses Abheben gilt nicht
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