Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
77. Jahresband.1997
Seite: 691
(PDF, 127 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1997/0691
Spionageromane darüber klagen, daß man
sich an der Universität Oxford zu wenig
mit der deutschen Barockliteratur beschäftige
. Wenn der Agentenjäger Smiley
nur die barocke Epik im Blick hätte,
könnte er auch den größten Teil der gebildeten
Leser Deutschlands in sein Bedauern
einbeziehen. Die unterschiedliche
Sprache, ein veränderter literarischer Geschmack
, ein gewandeltes Problembewußtsein
, der Verlust eines damals verbindlichen
Bildungsniveaus kann man als
Entschuldigungsgründe anführen.
Der gerade auf diese Fragen spezialisierte
Literaturprofessor Dr. Walter E. Schäfer
versucht seit Jahren im wissenschaftlichen
Bereich dem 1601 in Willstätt geborenen
Johann Michael Moscherosch einen breiteren
Interessentenkreis zu gewinnen. Nun
ging er noch einen Schritt weiter und hat
für ein Kapitel der einmal sehr populären
Erzählsammlung Moscheroschs „Wunderliche
und Wahrhaftige Gesichte Philan-
ders von Sittewald" die Hauptbarriere abgebaut
, indem er das Gesicht, die Vision,
„Soldatenleben" in unsere Hochsprache
übertragen hat. Vom Inhalt her eignet sich
diese Episode besonders gut, da sie - ca.
dreißig Jahre vor dem „Simplizissimus"
entstanden - einen höchst eigenartigen
Bericht über die Verhältnisse während des
großen Krieges liefert.
Philander, der fiktive Autor der „Gesichte
", fällt in die Hände einer Schar marodierender
Soldaten, muß sie auf ihren
Raubzügen begleiten und lernt dabei den
Zustand von Mensch und Land um das
Jahr 1640 kennen. Vom eigentlichen
Kriegsgeschehen erhalten wir nur allgemeine
und indirekt übermittelte Nachrichten
, was wir am konkreten Beispiel kennen
lernen, sind die Auswirkungen dieses
Religionskrieges: er hat alle verdorben.
Die Männer, die Philander gefangenhalten
, tragen noch ihre Waffen, sind aber
aus ihrem Söldnerdienst entlassen oder
aus ihm davongelaufen, werden von keiner
irgendwie gearteten Kriegsordnung
oder militärischer Hierarchie eingeschränkt
und versuchen auch nicht, ihre
Untaten durch nationale oder konfessionelle
Überhöhung ideologisch zu verbrämen
.

Die „Soldaten" sind auf die tiefste Stufe
menschlicher Existenz hinabgesunken
und verdrängen alle moralischen Vorhaltungen
mit sentenzenhaften Maximen ihrer
teuflischen Weltsicht. Die realistischen
Berichte über ihre Räubereien, den unmenschlichen
Einfallsreichtum ihrer Folterungen
werden kaum durch die künstlerische
Form abgemildert. Sie wirken historisch
authentisch und glaubwürdig.
Moscherosch war persönlich stärker in
kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt
als Grimmelshausen. Im „Viehraub
vor Finstingen" schildert er ein eigenes
Erlebnis. Der „gute, schwarze Amtmann
", hinter dem er sich verbirgt, kann
trotz schwerer Bewaffnung und dreier -
feiger - Schildwachen nur mit Glück sein
Leben retten.

Auf vielfache Weise diskutiert Moscherosch
das Verhalten der Soldaten. Philander
, in der Gefahr, am Lotterleben Gefallen
zu finden, beginnt über seine Situation
und den Charakter seiner Kameraden
nachzudenken. Vertreter anderer gesellschaftlicher
Gruppen halten aus ihrer
Sicht den Marodeuren ihre Verfehlungen
vor, obwohl sie nach zwanzig Jahren
Krieg selbst gelernt haben, nur den eigenen
Vorteil zu suchen; ein Abt ironisiert
die „Heldentaten" und damit die soldatischen
Tugenden überhaupt. Der allwissende
Autor mischt sich immer wieder direkt
in das Geschehen ein und gibt - zum
Teil im Druck hervorgehoben - sein Urteil
kund. Schuld am Niedergang des menschlichen
Wesens ist der Verlust des christlichen
Glaubens.

Man muß der Bearbeitung Walter E.
Schäfers besonderen Respekt zollen. Sie
macht eine wichtige Quelle für die Geschichte
des 17. Jahrhunderts zugänglich
und bietet einen weiteren Einstieg in die
Prosaliteratur des Barock. Auch die Schule
wird für die Ausgabe dankbar sein,

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