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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
78. Jahresband.1998
Seite: 617
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Zur gleichen Zeit wie im Markgräflerland kam es im Kraichgau zu judenfeindlichen
Exzessen.6 Diese Unruhen hatten ihren Hintergrund in der Diskussion
über die Gleichstellung der badischen Juden. Aus dem Amt Bretten,
wo es in der Nacht vom 3. auf den 4. März 1848 zu den ersten Ausschreitungen
kam, erging anderntags eine Meldung des dortigen Bezirksamtmannes
an das Innenministerium: Auf dem Lande weiß man kaum etwas von den in
Frankreich stattgehabten jüngsten Ereignissen. Nur die Verhandlungen der
II. Cammer der bad. Stände-Versammlung erregte Interesse auch bei dem
Volke u. eine mißverstandene gestern hierhergekommene Nachricht, daß
nemlich die Emancipation der Juden von der II. Kammer genehmigt worden,
erzeugte mit Blitzesschnelle großen Unwillen in allen Gemeinden.7

Die Frage der bürgerlichen Gleichstellung der Juden spielte dagegen im
badischen Odenwald, wo sich die schlimmsten Szenen abspielten, kaum
eine Rolle. Als Motiv für ihren Judenhaß nannten die bäuerlichen Aufrührer
ihre Abhängigkeit von den jüdischen Geldhändlern. Die Festlegung der
Juden auf den Handel, insbesondere auf den Geldhandel, soll ihnen hier also
zum Verhängnis geworden sein. Friedrich Lautenschlager, der als einer
der ersten Historiker auf diese „Agrarunruhen" hinwies, deutete die Aktionen
der Odenwälder Bauern in seiner 1915 erschienenen Abhandlung „Die
Agrarunruhen in den badischen Standes- und Grundherrschaften im Jahr
1848" als Notwehr gegen habgierige jüdische Geldverleiher: „Mit den Exzessen
der Bauern gegen das Standes- und grundherrliche Eigentum im
Jahre 1848 gingen Judenverfolgungen Hand in Hand. Man hat in ihnen den
Ausbruch mittelalterlicher Roheit sehen wollen. Davon war der judenverfolgende
Bauer weit entfernt; er bekämpfte nur seinen lästigen Gläubiger.
Daß der Jude war, einen anderen Glauben hatte, galt ihm nichts. Daß er
ihn aussaugte, oft an den Bettelstab brachte, während er selbst täglich
reicher wurde, das trieb den Bauern zur Revolte."8 Die Frage, weshalb
die Bauern auf ihrem „Weg der sozialen Revolution"9 ihre brutalen
Attacken hauptsächlich gegen die Juden richteten und weniger gegen ihre
christlichen Gläubiger, stellt Lautenschlager nicht.

Auch moderne Autoren sehen in der ländlichen Revolte des Jahres 1848 lediglich
einen mit gewalttätigen Mitteln ausgetragenen ökonomischen Konflikt,
ohne den jahrhundertealten Antijudaismus in ihre Überlegungen miteinzu-
beziehen.10 Stefan Rohrbacher stellt das ökonomische Motiv als alleinige
Erklärung für die Judenverfolgungen in Frage. Für ihn ist die „Rolle und
Bedeutung der Gewalt im Verhältnis zwischen christlicher Mehrheit und jüdischer
Minderheit" nur richtig erfaßt, „wenn nicht auch antijüdische Übergriffe
im weiteren Sinn in die Betrachtung einbezogen, neben kollektivem auch individuelles
Handeln und neben dem außergewöhnlichen Einzelereignis auch
Strukturen der Gewalt in Alltag und Brauchtum beleuchtet würden".11

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