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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
78. Jahresband.1998
Seite: 744
(PDF, 141 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1998/0744
Hartmut Stiiwe, Kehl im Dritten Reich.
- Stadtgeschichte 1933 bis 1945. Stadt
Kehl am Rhein 1997.

Die Kehler Stadtgeschichte 1933 bis 1945
von Hartmut Stiiwe, die Dokumentation
des Stadtarchivs Kehl zu der Ausstellung
„Kehl im Dritten Reich" im Hanauer Museum
1995/96, ist nun 1997 erschienen.
Und das, obwohl es, so Hartmut Stiiwe in
seinem Vorwort, ein gravierendes Quellenproblem
gibt: Kehl hat während des
Zweiten Weltkrieges in „besonderem
Ausmaß" wichtige Akten und Dokumente
verloren. Durch diesen Umstand kommt
den Zeitzeugen - Dieter Fessler, Walter
Fuchs, Oskar Gebert, Klara Klotter, Ilse
Noel, Helmut Schneider, Hans Sommer,
Günther Zeeb und Erich Zürcher - und
den privaten Leihgebern eine große Bedeutung
für die Überlieferung zu. Ein von
der Gestapo bei der Durchsuchung der
Wohnung des Lehrers Lazarus Mannheimer
beschlagnahmter Brief etwa ist bis
heute das einzige bekannte Zeugnis der
Reichskristallnacht in Kehl.
„Kehl im Dritten Reich" besticht durch
die vielen Fotoaufnahmen, die - mehr als
Texte dies leisten könnten - so etwas wie
eine Atmosphäre von der Machtergreifung
1933 bis zur französischen Besatzung
1945 vermitteln. Insbesondere Gruppenaufnahmen
von Klassenausflügen,
Sportmannschaften oder Teilen von
U-Boot-Mannschaften beim Sonnen an
Deck suggerieren eine friedliche Normalität
, die jedoch von den martialischen
Bildern der Aufmärsche und Hakenkreuzfahnen
schnell in den alles beherrschenden
militaristischen Kontext eingeordnet
werden können. Was diese Fotos auch zeigen
: Ein großer Teil des Lebens lief
äußerst reglementiert in der Gruppe ab,
Individualität war unerwünscht.
Die Texte - sowohl die Begleittexte als
auch die Aussagen der Zeitzeugen - bestechen
durch ihre prägnante, direkte
Sprache, die die einzelnen Aspekte der
Machtergreifung und Herrschaft der Nationalsozialisten
in Kehl auf den Punkt zu

bringen vermag. Besonders erwähnenswert
erscheinen mir drei Kapitel. Da ist
zum einen die Schilderung des Werdegangs
von Emil Gärtner, dem selbsternannten
„Löwen vom Hanauerland". Dieses
treue NSDAP-Mitglied von vor 1930
brachte es als Propagandaredner und
Kreisrat bis zum Leiter des Kreisschulamtes
der Haupt-, Mittel- und Volksschulen
des Kreises Kolmar. Der miserable
Pädagoge, notorische Erpresser und „Verführer
" von Schulleitersgattinnen war zuallererst
ein Schlägertyp. Seinen Parteifreunden
galt er jedoch als „rechter Kerl"
und „guter Kamerad". Solche Leute handelten
auch ohne direkte Befehle von
oben. Glücklicherweise kam er nach 1945
im Schuldienst nicht mehr unter.
Da ist zum anderen der Fall des Schuldirektors
Friedrich Grundel, der nach 1933
zunächst versuchte, den Unverschämtheiten
führender örtlicher Parteimitglieder
öffentlich Paroli zu bieten. Entgegen einer
weitverbreiteten Legende riskierte er nicht
gleich seine Freiheit, sondern allenfalls einen
Karriereknick. Er wurde nämlich zum
Lehrer in Pforzheim, dann Freiburg .degradiert
'. Noch 1945 rehabilitiert, erhielt
er in demselben Jahr die Ernennung zum
Direktor des Freiburger Rotteckgymnasi-
ums.

Schließlich zeigen die abscheulichen
Maßnahmen, die am 10. November 1938
bei der Judenverfolgung, also noch Jahre
vor dem Holocaust, in Kehl ergriffen wurden
, wie unmenschlich hier gegen die jüdischen
Mitbürger vorgegangen wurde.
Diese Menschen wurden nicht einfach nur
völlig grundlos verhaftet und beraubt -
das alleine wäre schon ein Skandal -, sondern
sie wurden auch massiv mißhandelt
und gedemütigt. SS-Führer Heinrich
Himmler hatte der Polizei im Vorfeld der
Reichskristallnacht den Auftrag erteilt,
die Aktionen der Gestapo, Partei und SA
gegen die Juden und ihre Einrichtungen
nicht zu stören. Die Art des durchdachten,
flächendeckenden, systematischen Zugriffs
auf unschuldige Menschen, stigma-

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