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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
80. Jahresband.2000
Seite: 239
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Von Rheinau über Gurs nach Auschwitz.

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auf Befehl der Gestapo seine Mehl- und Getreidehandlung in Rheinbischofsheim
schließen und wurde vor die Wahl gestellt, Deutschland zu verlassen
oder in ein Konzentrationslager eingeliefert zu werden. Am 24. Oktober
flüchtete er mit Hilfe seines Bruders, der schon viele Jahre in Straßburg
lebte, nach Frankreich. Durch den Verlust seines Geschäfts und die
Auswanderung verlor er nicht nur sein Einkommen, sondern auch alle
Außenstände und den Bürgernutzen der Gemeinde.

Novemberpogrom 1938

Beim Novemberpogrom am 9. 11. 1938 und danach wurde in Freistett die
Synagoge am Marktplatz, die wegen Zusammenlegung der Religionsgemeinden
Neufreistett und Rheinbischofsheim seit 1935 nicht mehr zu Gottesdiensten
benutzt wurde, so nachhaltig demoliert, daß sie bald danach
abgerissen werden mußte. Die jüdischen Männer wurden nach Kehl verschleppt
, dort mißhandelt und dann weiter ins KZ Dachau gebracht, von
wo aus sie nach einigen Wochen wieder nach Hause entlassen wurden.
1939 waren wegen der nationalsozialistischen Verfolgung bis auf zwei alte
Frauen alle jüdischen Freistetter weggezogen bzw. ausgewandert.

Zeitzeugen aus Freistett berichten darüber 50 Jahre später wie folgt:

. . . Von der Kristallnacht weiß ich nichts Direktes, da war ich nicht da.
- Ich kann mich auch nicht so genau mehr erinnern. Ich glaub, die Synagoge
ist nur demoliert worden, nicht angezündet. Da sind Steine reingeflogen
, und nachher war sie schon arg demoliert, halb abgerissen. Das waren
halt so Halbwüchsige, hier von Freistett, nicht von auswärts. Aber wie sie
die Juden in der Nacht geholt haben, das hat man mitgekriegt. Das waren
welche von der SA, aber ohne Rumführen, mehr so bei Nacht und Nebel,
das ist alles ganz schnell gegangen. . . .

Und am Tag danach war ich in Kehl. Da hab ich mitgekriegt, wie die SA
welche aus dem Zug geholt hat und durch Kehl getrieben. Das waren keine
Kehler Juden, sondern welche aus Österreich, mit Koffern, die über die
Grenze wollten, aber Pech hatten, gerad nach der Kristallnacht, da war die
SA ja stark. Aber die Kehler Bevölkerung, die hat da nicht mitgemacht.
Das war so ne Horde SA, die da gejohlt haben, aber die Bevölkerung hat
sich auf Distanz gehalten, höchstens den Kopf geschüttelt. . . .

Die alte Frau Rubin, die haben sie fast verhungern lassen, die ist ja
garnicht mehr richtig rausgegangen — aber die hat auch immer wieder ihre
gewissen Häuser gehabt, wo sie ihr hinten irgendwie was hingestellt haben
. Die wußten alle, die Juden, wo sie hin mußten, in welche Häuser. . .

Aber wo die dann hingekommen sind, da hat man sich damals nicht
drum gekümmert. Man ist halt so dringestanden - . . . Für sich privat hat
jeder schon mal gedacht: ,Mein Gott, wie wird das enden noch mit denen
?', aber - da hat man halt offen nie drüber gesprochen.5


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