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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
82. Jahresband.2002
Seite: 457
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Faszinosum, Filou und Forschungsobjekt: Das erstaunliche Lehen des Hellsehers Ludwig Kahn 457

nichts mehr geblieben. Das Ehepaar versuchte sich jetzt durch kleinere
Heimarbeiten über Wasser zu halten und Kahn war sein Alter mittlerweile
anzumerken.121 In überraschender Weise wurde den beiden dann eine unverhoffte
Aufmerksamkeit zuteil. Einer der US-Soldaten, dem die Kahns
1943 die Flucht vor den Deutschen ermöglicht hatten, schlug Ludwig und
Leontine Kahn vier Jahre nach Ende des Krieges wegen ihrer damaligen
Rettungstat für den Preis eines amerikanischen Familien-Magazins vor.
Die Ehrung („Heart of Gold") brachte - wie man in der Familie stolz berichtete
- den Kahns eine stattliche Summe von 2000 Dollar sowie „eine
Küche, Schlafzimmer, Television set, Silberkasten 72 tlg. & für ein halbes
Jahr gefrorenes Gemüse & Früchte" ein.122

1954, kurze Zeit nach seinem 80. Geburtstag, musste seine Nichte Fanny
Ludwig Kahn aufgrund seines gebrechlichen Zustandes in ein jüdisches
Altersheim in der Bronx bringen.123 Währenddessen konnte seine Ehefrau
weiterhin in dem Appartement in der Stadt wohnen bleiben. In dem New
Yorker Altersheim erlebte Ludwig Kahn zumindest noch seinen 92. Geburtstag
im Jahr 1965.124 Sein genaues Todesdatum ist nicht bekannt.

Die erfolgreiche Zeit des „Hellsehers" Ludwig Kahn aus Offenburg lag
in den Jahren kurz vor und kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert. Sein
Erfolg lässt sich aus den historischen Rahmenbedingungen erklären: Charismatische
und „unheimliche" Gestalten wie Kahn verkörperten, wie Ulrich
Linse betonte, mit ihren Darbietungen das bei vielen gefragte „antimoderne
Kontrastprogramm zu Rationalismus und Materialismus im Zeitalter
des Industriekapitalismus".125 Kahns Publikum war bereit, für die angebotenen
Ausflüge in die Welt des scheinbar Irrationalen einiges zu bezahlen.
So machte der junge Mann in diesen Jahren mit seinem ungewöhnlichen
Talent eine steile Karriere, die ihm neben übergroßem Reichtum wohl auch
eine gehörige Portion Hybris und einen sich ausweitenden Drang zu betrügerischen
Taten einbrachte.

Seit 1912 wurde Ludwig Kahn zu einem Thema für die Wissenschaft
und dabei zu einer sehr umstrittenen Figur in der Geschichte der europäischen
Parapsychologie.126 Die Frage, ob es möglich ist, dass ein Mensch
„hellsehen" oder die Zukunft voraussagen kann, und wenn ja, in welchem
psychischen Zustand, wurde auf dem Hintergrund seiner Darbietungen
wieder intensiver diskutiert. Kahn habe damals die „Wissenschaft wieder
in Fluß gebracht".127 Nachdem der Hellseher aus Offenburg durch kritische
Stimmen aufgrund seiner biografischen Verbindung zu „Professor Reese"
schon bald in Verdacht geraten war, verschaffte ihm einige Jahre später der
wissenschaftliche Okkultismus von Paris aus eine gewisse Renaissance.

An seiner Persönlichkeit wurden in der Folge die scharfen wissenschaftsimmanenten
Bruchstellen sowie die persönlichen Animositäten zwischen
den Anhängern der Parapsychologie und ihren Kritikern weiter geschliffen
. Im Kontext einer sich immer mehr ausdifferenzierenden Wissen-


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