Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
91. Jahresband.2011
Seite: 289
(PDF, 95 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2011/0290
290 Eugen Hillenbrand

Ein Bettler empfängt
aus der Hand der
heiligen Verena eine
milde Gabe. (Holzschnitt
aus dem Passio-
nael efte dat levent der
hyllighen, Lübeck:
Stephan Arndes, 1507)

Mildtätigkeit war vielfältig und aufreibend
geworden. Das geläufige Vorbild der
heiligen Frau, die einem Bettler an der
Türe ihres Hauses eine wohltätige Gabe
überreicht, genügte Gertrud nicht mehr,
wie es etwa der Holzschnitt zum Heiligenleben
der im Bistum Konstanz hochverehrten
Verena von Zurzach darstellt.

4. Leben in der Gemeinschaft mit Gott

Mildtätigkeit wahrt soziale Distanz. 16
Jahre lang, so lesen wir, quälte sich Gertrud
mit diesem inneren Widerspruch.
Sie wollte nicht nur milde sein, sondern
arm. Sie wollte die Distanz aufbrechen
zwischen den Barmherzigen und den Bedürftigen, sie wollte
selbst, dz sü wer gangen in dz armuot und eilende und wie eine arme
eilende swester leben. In einer kühnen Formulierung umschreibt
die Biographin Gertruds radikale Entscheidung: Do sü nun also gar
alle dinge hette ufgeben, dz sü nüt me hette zuo lossen noch zuo geben,
noch zuo heissen noch zuo heischen, noch zuo frogen noch zuo wissen,
noch ze reden mit niemannes nihtes (etwas) noch zuo sehen ufkein
ding in der zit,.. dowz sü in gantzem friden mitgotte und mit ir selber
und mit allen creaturen, und wz muezig (frei) aller dinge.29

Gertrud schien das nur in einem radikalen Bruch mit dem bisherigen
Leben möglich. Gegen den ausdrücklichen Rat der Franziskanerbrüder
und der Freunde in Offenburg verließen Gertrud
und Heilke ihr vertrautes Domizil und zogen nach Straßburg. Hier
kauften sie sich zwar auf Heilkes Initiative hin ein Häuschen, aber
Gertrud übertrug ihre Eigentumsansprüche sofort und in vollem
Umfang an die jüngere Freundin. Als sie gar ausziehen wollte,
hinderte Heilke sie daran, sie sollte wenigstens unter dem gemeinsamen
Dache wohnen bleiben, wenn auch im snödesten kemmer-
lin. Heilke musste ihr einen Bettelsack zurichten, mit dem sie in
der Stadt „nach Brot gehen" konnte. Sie mischte sich unter das
ärmste Volk und musste selbst die bittere Erfahrung machen, dass
sie beim Betteln kein einziges Almosen erhielt.

Ein Holzschnitt des beginnenden 16. Jahrhunderts schildert
die Situation recht drastisch: Ein Getümmel von Kranken, Krüppeln
, bedürftigen Kindern und Alten, die vor einem Kirchenportal
liegen, sitzen oder stehen und die bürgerlichen Kirchgänger
um eine milde Gabe anflehen. Der reformatorische Theologe Andreas
Karlstadt, der 1534 als Professor für das Alte Testament in
Basel tätig war, beschrieb 1522 die Gruppe der Unterprivilegier-


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2011/0290