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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
92. Jahresband.2012
Seite: 302
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302 KarlK°pp

Macht und Kompetenz, das politische und wirtschaftliche Geschehen
mitzugestalten - das ist alltägliche Realität für die Bevölkerungsmehrheit
am Beginn des 18. Jahrhunderts. Dauerzustand
ist zumindest die ständige Angst vor Armut und Hunger.
Denn den überwiegenden Teil der Einkünfte (70-80 %2) verschlingt
die Ernährung der Familie. Persönliche oder gesellschaftliche
Krisen wie Unfälle, Krankheit, Tod des Ernährers
oder Missernten, Hunger jähre, Krieg, Kontributionen, Frondienste
und außerordentliche Steuern setzen oft eine Spirale
der Armut in Gang bis hin zum Hungertod.

Einige aber schlugen auch aus der Not ihr Kapital. W. v.
Hippel schildert die „systemimmanente Logik" solcher Hungerzeiten3
: „Wer in normalen Zeiten zu den agrarischen Selbstversorgern
gehörte (nicht nur die Lahrer Reb- und Ackermänner
, sondern fast ausnahmslos auch die Handwerker, K. K.),
war in Notjahren auf kostspieligen Zukauf angewiesen; der
kleine Überschussproduzent durfte froh sein, wenn er nicht
unter die Selbstversorgergrenze abrutschte; nur für die Gruppe
der großen Überschussproduzenten und Empfangsberechtigten
von Naturalabgaben (Gülten, Zehnten) konnte sich die
Notsituation gewinnreich gestalten, weil ihre Produkte selbst
bei geringerem Volumen größeren Gewinn abwarfen."

Mit den Kategorien der Sozialen Frage und der Soziologie
des 19. und 20. Jahrhunderts sind die Verhältnisse in den Jahren
unserer Lahrer Stadtratsprotokolle allerdings kaum zu fassen
. Sie sind - natürlich mit Einschränkungen und Differenzierungen
- eher vergleichbar mit dem, was wir heute aus der
„Dritten Welt" erfahren.

Gegen die Gewinnstrategien der wirtschaftlich Mächtigen
setzten die Notleidenden ihre oft genug hilf- und erfolglosen
Überlebensstrategien, die sie dann zusätzlich zur materiellen
auch der gesellschaftlichen und obrigkeitlichen Repression
aussetzten: Diebstahl im Feld und an der Trotte, Veruntreuung
des Zehrgelds von Arbeitskollegen oder von Zunftgeldern, Verstöße
gegen die Zunftordnung, Verkauf und Verpfändung aus
dem ohnehin kleinen Besitz, Schuldenmachen, mindere Ware
verkaufen.

So belegen auch die Lahrer Stadtratsprotokolle, wie die exis-
tenzielle Not weit in das städtische Bürgertum hineinreichte,
in dem doch eigentlich ein ehrsamer Beruf ein zumindest bescheidenes
Einkommen samt Besitz und sogar die Mitgestaltung
des Gemeinwesens ermöglichte, und sei es nur als städtisch
bestellter Fruchtmäßer, Butterwäger, Torwächter, Totengräber
, Vieh- oder Kuhhirt Wo aber liegt die Grenze zwischen diesen
immerhin in der Bürgerschaft „etablierten Armen" und der


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