Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
92. Jahresband.2012
Seite: 303
(PDF, 83 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2012/0304
Sein Weib und Kind mit Gott und Ehren ernähren

303

„Unterschicht", wie sie uns in der historischen Literatur begegnet
? Gehören alle Hintersassen, Gesellen und Taglöhner dazu?
Und alle Reb- und Ackermänner? Diese verfügen über Grundbesitz
, haben vielfach das Bürgerrecht, deren Söhne aber - dies
entnehmen wir den Lahrer Ehebüchern4 - drängen in einen
Verdienst als Weber, Schuhmacher oder Taglöhner. Wir sehen:
„Unterschicht" kann als moderner Begriff nicht adäquat mit
einem zeitgenössischen Vokabular gefasst werden. Der Anteil
der völlig Mittellosen, der Dienstboten, Almosenempfänger,
armen Witwen und Waisen, Bettler und Landläufer an der Gesamtbevölkerung
Lahrs ist nicht zu beziffern.

Die Literatur nennt erstaunlich hohe Zahlen für die „unterbürgerlichen
" Besitz-, Arbeits- und Einkunftslosen in der vorindustriellen
Gesellschaft. Nach Alexander Klein5 müssen „ungefähr
zwei Drittel der Bevölkerung oberdeutscher Städte des
15. und 16. Jahrhunderts als arm im Sinne des Fehlens bzw. der
Knappheit des alltäglichen Bedarfs an Lebensmitteln, Kleidung
und Wohnraum eingestuft werden". Im 18. Jahrhundert sollen
in Frankfurt und Straßburg „bis 23 % völlig verelendet", in Berlin
„bis zu 1/3 auf Armenunterstützung angewiesen" und in
Köln „12000 bis 20000 Bettler unter 40000 Einwohnern" gewesen
sein. Zwar sind solch extreme Werte für Lahr anhand
der im Historischen Arbeitskreis bearbeiteten Quellen nicht zu
belegen, abgesehen davon, dass diese Zahlen schon wegen der
unterschiedlichen Kriterien und Kategorien nicht vergleichbar
sind. Wenn wir aber Armut vom Kriterium „Knappheit" abwärts
bis hinunter zum völligen Fehlen von Lebensressourcen
definieren, so „kommen wir wohl auch in Lahr auf 50% der
Einwohner oder mehr".6

Wie knapp die Ressourcen waren, wie streng die aus der Not
geborenen Vergehen geahndet wurden und mit welchem sozialen
Druck der Rat die Denunziation förderte, wird aus dem
Verfahren gegen Anna Maria Vieserin wegen verbottener Weiß
auffgelesener Eichel deutlich (24.11.1704): Obwohl auch sie ein
Schwein in das Eckerich lauffen lassen durfte (Eichelmast im
Wald, nach damals streng reguliertem Recht), hatte sie zusätzlich
, wider das allgemeine Verbott, Eicheln aufgelesen. Die Vieserin
soll nach dem Urteil des Rats nicht allein vor (für) die auffgelese-
nen Eichelen 2 fl. (Gulden) bezahlen sondern auch zur wohlverdienten
Straff 2 fl. erlegen oder in die Geigen geschloßen werden.
Auff ihr inständiges Bitten ist beedes auff 3 fl. moderiert worden.
Und für den Fall, dass sie andere, welche auch Eicheln aufgelesen
, anzeigt, werde ihr noch 1 fl. nachgelassen. Für die restlichen
zwei Gulden - falls ihr die Denunziation gelingt - müsste sie
als Lohnarbeiterin auf dem Acker zwei volle Tage arbeiten


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2012/0304