Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
92. Jahresband.2012
Seite: 472
(PDF, 83 MB)
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472 Neue Literatur

rungsprotokolle aus. Entstanden ist schließlich
eine von Professor Heiko Haumann in
Freiburg und Basel betreute Dissertation, die
eine Forschungslücke schließt: Jüdische Lebenswelten
in der Markgrafschaft nach dem
Dreißigjährigen Krieg waren zuvor kein
Thema gewesen. Das hat Mohr nun grundlegend
geändert. Sein Buch besticht durch eine
immense Faktenfülle, vor allem aber zeigt er
mit vielen Einzelschicksalen Stereotypen auf,
derer sich gerade jesuitische Ortsgeistliche bedienten
, um gegen die Juden zu Felde zu ziehen
: „Ihre hypertrophe Ausgestaltung judenfeindlicher
Stereotypen war Ausdruck der tradierten
, kirchlich bestimmten Judenfeindschaft
. Die Stereotype dienten den Geistlichen
wohl der Sicherung ihrer Meinungsführerschaft
und der Konfessionalisierung auf der
lokalen Ebene ... und dem Erhalt oder der
Stärkung der Kohärenz des katholischen Milieus
." Mohr weist aber auch ein Selbstbewusst-
sein nach, das zumindest einzelne jüdische
Einwohner entwickelt hatten.

Der von Mohr gewählte Zeitrahmen ist
formal schnell erklärt: 1648 endet der Dreißigjährige
Krieg, die Quellen sprudeln stärker.
1771 wird die Markgrafschaft Baden-Baden
aufgrund eines Erbvertrags mit der Markgrafschaft
Baden-Durlach vereint. Inhaltlich aber
ist die Situation sehr komplex: Das Herrschaftsgebiet
war in mehrere kleine Teile zerfallen
, die Kerngebiete lagen um Baden-Baden
und Rastatt; hier lebten ungefähr 40 jüdische
Familien. Es war ein geschundenes Land: Der
Dreißigjährige Krieg hatte abgrundtiefe Wunden
geschlagen, die Not war allgegenwärtig.
Der Pfälzische Erbfolgekrieg, der Spanische
Erbfolgekrieg - die Kriegsfurie tobte immer
wieder durch die Markgrafschaft. Erst der
Friede von Rastatt 1714 leitete eine Wende
zum Besseren ein. Dazu kam ein hoher Aufwand
für eine repräsentative Hofhaltung, was
mit in die Überschuldung des Landes führte.
Neben dem kriegerischen Charakter der Epoche
ist die starke katholische Prägung der
Markgrafschaft von eminenter Bedeutung.
Vor allem bei Markgräfin Sibylla Augusta wendete
sich dies in eine Ablehnung der Juden,
was Mohr an mehreren Beispielen festmacht.

Ein besonders perfides ist das Pflastergeld: Die
Markgräfin wollte ihre Residenz Rastatt verschönern
, sie pflastern lassen. Weil weder Regierung
noch Bürgerschaft gewillt waren, sich
an den Kosten zu beteiligen, ließ die Markgräfin
kurzerhand die Juden ihres gesamten Herrschaftsgebiets
- also nicht nur jene in Rastatt
selbst - zur Kasse bitten. Wer nicht zahlen
wollte oder konnte, den sollte man „ohne
weitere Anfrag fortschaffen". Mohr bescheinigt
Sibylla Augusta gegenüber den Schutzjuden
„wohl gerade wegen ihrer rigiden Religiosität
eine unbarmherzige Härte, zur Entlastung
der Staatskasse und der Rastatter Bürger, wohl
aber auch aus tiefer Abneigung gegen die
Juden". Auch die 1714 von ihr erlassene Judenordnung
dient Mohr als Beleg für eine
ausgesprochen antijüdische Einstellung der
Markgräfin. Das setzte sich bei ihrem Sohn
Markgraf Ludwig Georg fort: Dieser habe gar
überlegen lassen, ob man die Markgrafschaft
ganz von Juden „säubern" solle - der Terminus
findet sich in den Akten.

Dabei war das Pflastergeld nur eine von
zahlreichen Belastungen. Vor diesem Hintergrund
mag das Selbstbewusstsein verwundern,
das manche jüdischen Einwohner entwickelten
. Ein Beispiel dafür findet sich in Kippenheim
, wo Mohr nachweist, dass 1755 „zum
ersten Mal eine lokale Judenschaft mit einem
eigenen Gebäude die Grundlage für eine gemeindliche
Einrichtung schaffen wollte". Eine
Synagoge als Betraum in einem Privathaus sei
nicht mehr angemessen gewesen und vielleicht
auch zu klein geworden: „Das könnte
ein Zeichen dafür sein, dass die Juden in Kippenheim
das Selbstbewusstsein besaßen, gegenüber
der christlichen Umwelt als beständig
sichtbare Körperschaft aufzutreten." Dies
setzte sich 1770 fort, als die Juden um Bauholz
aus dem Wald der politischen Gemeinde
baten, möglicherweise mit dem Ziel eines Synagogenbaus
: „Damit hätte die Judenschaft
einen Anspruch auf Hilfe der Regierung erhoben
, den bis dahin nur die christlichen Gemeinden
für ihre Kirchenbauten geltend
machten, sich selbst in dieser Hinsicht mit
einer christlichen Kirchengemeinde gleichgestellt
. Jedenfalls zielte sie auf eine Beteiligung


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