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466 Eugen Hillenbrand
dere Autoren rühmten, dass durch diese Multiplicatio auch die
weniger Bemittelten die Chance erhielten, zu den Schätzen des
Wissens und der Bildung zu gelangen. Es gab allerdings eine
große Hürde: die Sprache. Mindestens 75 % dessen, was in den
Anfangsjahren der neuen Technik gedruckt wurde, erschien in
lateinischer Sprache. Erst die Reformation, vor allem Luthers
Bibelübersetzung, führte allmählich zu einer Wende hin zur
Volkssprache. In diese Zeit möchte ich zurückblicken und fragen
, wie man damals mit der Dialektik von Tradition und Fortschritt
umgegangen ist. Und konkreter: Welche Bildungswege
hat man damals in der Reichsstadt Offenburg gesucht? Ein
solcher Blick auf vergangenes Leben konfrontiert uns mit fremdem
Denken und Wissen. Diese andere Erfahrung könnte
unser eigenes Bewusstsein sensibilisieren für Vorurteile oder
Tagträume des Zeitgeistes. Blicken wir also zurück!
Die Empfehlungen eines erfahrenen Schulmannes
1512 veröffentlichte der Straßburger Drucker Renatus Beck die
Schrift eines schon jung verstorbenen Mainzer Kanonikers namens
Dietrich Gresemund (1475-1512). Sein Werk trug den
Titel: Carmen de Historia violatae crucis (Geschichte vom zerstörten
Kreuz)3. Sie erzählt von den Folgen der Spielsucht des Mainzers
Schelkropf, der nach einem verlorenen Spiel alles kurz und
klein geschlagen hat, darunter ein Kreuz und einige Heiligenbilder
. Dafür wurde er mit dem Feuertode bestraft. Das in bestem
Latein angefertigte, mehrseitige Gedicht ist eine einzige
Deklamation gegen die Spielsucht und für die Heiligenverehrung
und hat den hochangesehenen elsässischen Humanisten
und Pädagogen Jakob Wimpfeling (1450-1528) so beeindruckt,
dass er dazu eigens ein Vorwort verfasst und das Büchlein zur
Schullektüre empfohlen hat. Bereits 1514 veranlasste er eine
Neuauflage der Schrift, wiederum in der Hoffnung, „dass dieses
edle Lied vom zerstörten Kreuz, das sogar die Italiener bewundern
, eingehend gelesen werde von den zuverlässigsten Schulleitern
(a fidelissimis gymnasiorum moderatoribus), besonders in
Helvetien, im Elsass und im Bistum Straßburg. Wenn ich mich
nicht täusche, werden es Hieronymus Gebweiler in Straßburg,
Sapidus in Schlettstadt und Gervasius Sopher in Offenburg
den Schülern erklären, damit diese, aufgewühlt durch die Lehren
Dietrichs, von der Spielsucht ablassen, wegen des Spiels
nicht die Studien vernachlässigen, ... ihre Zeit nicht vergeuden
und nicht in immer größere Schwierigkeiten geraten/'
Wimpfeling4 hat in diesem besonderen Falle noch einmal
seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass in der Schule
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