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234 Eugen Hillenbrand
und 1605, und zum andern ein Verzeichnis derselben Zeit,
das die finanzielle Ausstattung der einzelnen Altarpfründen
auflistet. Wir erfahren dabei die Namen der Zinsgeber und
die Finanzierungsbasis, in der Regel Immobilien in und um
Offenburg. Ihre Lage ist genau beschrieben durch die Ortsund
Flurnamen und durch die Namen der Eigentümer der
Nachbargrundstücke. Eine hervorragende neue Quelle zur
Offenburger Familien- und Besitzgeschichte!
- Das Pfründgut der Pfarrei wurde ergänzt durch Opfergaben
der Gläubigen, die sie während der Messe darbrachten
, und durch sogenannte Stolgebühren, d. h. Entgelte für
geistliche Handlungen, die mit dem Tragen der Stola verbunden
waren (Taufe, Spendung des Ehesakramentes, Letzte
Ölung, Begräbnis).
2. Die fabrica ecclesiae: Der Baufonds, aus dem der Kirchenbau
und dessen Ausstattung (Glocken, Orgel, Kerzen usw.)
finanziert wurden. Sie setzte sich zusammen aus Stiftungen,
außerordentlichen Sammlungen und üblichen Gaben in
den Opferstöcken der Kirche. Diese „Kirchenfabrik" stand
unter der Aufsicht des Kirchenpflegers, der im Spätmittelalter
ein Laie sein musste, meist ein Mitglied des Stadtrates. Er
hatte jährlich der Stadtverwaltung einen Rechenschaftsbericht
vorzulegen. Dieses Modell zeugt einerseits von einem
gewissen Misstrauen der Bürgerschaft gegenüber dem Erwerb
von Eigentum durch kirchliche Institutionen in der
Stadt - denn deren Eigentum war dem Zugriff der städtischen
Steuerbehörde entzogen. Andererseits aber stärkte es
auch die Bindung zwischen kirchlicher und städtischer Gemeinde
.
- Die Pfarrkirche war das Herz der Stadt, religiös, sozial,
ökonomisch, politisch. Sie repräsentierte „das Gemeinwesen
Offenburg".
Im Schatten der Pfarrkirche bestatteten viele Generationen der
Offenburger ihre Toten. Der Weg zur Messe führte sie an den
Gräbern der Ahnen vorbei. Das schuf Identität und Kontinuität
. Die Friedhofskapelle St. Michael war von Anfang an ein
Teil der Pfarrkirche.21 Als man sich 1830 gezwungen sah, den
Friedhof vom Ölberg auf die Ostseite der Stadt zu verlegen, an
den Ort, wo 1906 die Dreifaltigkeitskirche gebaut wurde, beschlossen
die Stadtväter, die alte Kapelle zum Abbruch an den
Meistbietenden zu versteigern, und provozierten die erste Bürgerinitiative
der Stadt: „Lasset die Toten ruhen", endete der
Protest der Bürger. Sie hatten keine Chance: Der Abriss der Michaelskapelle
brachte Geld in die Stadtkasse.
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