Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
17. Jahrgang.1997
Seite: 49
(PDF, 31 MB)
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Wer das Weindorf kennt, weiß, daß sich in ihm mehr Erinnerungen verankern als anderswo,
daß diesen lustigen Pavillons in den Gärten, diesen Höfen mit den Rundportalen, den Häusern
mit den überhohen Dächern, den Schlössern mit ihren sich brüstenden Türmen die Anziehungskraft
des Wunderbaren eigen ist. Und daß es einen tieferen Grund hat, warum die Wirtshausstufen
hier so ausgetreten, die Gassen so winklig sind und eng. Unheimlich feierlich wird
es im Weinland, wenn der Mensch mehr und mehr die trächtigen Stöcke sich selbst überläßt,
wenn die Strohwische am Eingang aller Wege die Unbefugten warnen, wenn Klappermühlen
gegen geflügelt einfallende Diebe tätig sind und der Flurschütz wie der grüne Satan herumschleicht
.

Die Gewittergefahren sind gebannt. Der Winzer kann sein Nachtgebet abkürzen und früh sich
schlafen legen, denn jeder Morgen steigert des Tages Pracht.

Fabelhaft, was in aller Stille draußen vorgeht. Wunderbar, wie sich der Herbst auf Zehenspitzen
naht. Die frühen Nebel lullen an den Beeren, machen die Häute weich, damit sie in der
Sonne mehr noch zu dehnen sich vermögen, noch praller sich füllen mit Saft. Auch der hohe
Himmel weitet seine dünne Haut, die blau ist ohne Fehl.

Sommerhitze, die im Hof die Feigen reifen ließ, hat draußen auch die Trauben gar gemacht.
Die letzten Pfirsiche duften in den Körben. Verwandte, von plötzlich wachgewordener Sehnsucht
gepackt, haben brieflich angefragt, ob sie zum Herbsten kommen könnten. Warum
nicht? Es reicht für alle.

Animalische Freude wird langsam in den Dörfern wach. Es zuckt durchs älteste Gebein: Mitmachen
! Vielleicht wird es die letzte Lese sein. Die Schwalben sind abgereist. Man sieht
kaum einen Falter mehr. Aber bald flattern die lustigen Kopftücher der Mädchen zwischen
den mannshohen Stöcken. Ganz insgeheim hat der Rebherr Bonbons gekauft, um während der
Lese das Weibervolk vom Schleck der süßen Beeren wegzuködern.

Endlich naht er, der königliche Tag, strahlend in Gold und Wonne. Alles strömt in die Weinberge
, auch die junge Frau, die selbst erst niederkam, läuft zum Lesen der ausgereiften Trauben
. Sie legt ihren Barns solange in den Schatten eines Baumes und reicht ihm, wenn's dann
sein muß, ihre Brust.

Herrgott, wir loben dich, böllert es von allen Höhen! Milde Gloria, Licht von rührender
Schönheit umgibt alles. Von den Rheindampfern, die wie Schwäne gleiten, juhuht es herauf.
Selbst durch die Züge atmet eine wunderbare Versinnlichung. Und wo eine Kehle sich öffnet,
stimmt sie den hehren Gesang des Herrschers Dionysos an. Alles Natürliche wird heilige
Handlung.

Die Kelter klopft den Takt, aus ihrem Munde strömt der sämige, vollduftende Most. Das Fest
hat begonnen. Nicht einmal die Katzen duldet es mehr im Haus, sie schleichen, ohne durchzubrechen
, traumwandlerisch über die Laubendächer.

Am Sonntag hebt man wegen des Gedränges die Wirtshaustüre aus den Angeln. Sogar Weiber
, in deren Jugend der Teufel noch ein junger Bub war, hocken auf der Bank der Zecher.
Aber wochentags kommen die andern; bedächtige Männer, die schwer wiegen, die sich selbst
kennen, wissen, was ein rechter Keller ist, die keine Regel blind befolgen, die Meister der Flaschenorgel
, die keine Etikette besticht und denen nichts die Kennerschaft des wahren Weines
verhüllt. Männer, die den Wein auf Herz und Nieren prüfen, mit Zunge, Augen, Nase in seine
tiefsten Tugenden dringen. Männer, die des Weines Ehre rein halten, nur dulden, was
bekömmlich, was ehrlich ist und den Mund frisch hält. Es sind die Weisen, die wissen, daß
ohne die Rebe unser Planet Erde elend verarmen würde, die wissen, daß die Rebe der schönsten
Landschaft ihre Krone flicht. Wenn sie vom Wein sprechen, singt aus ihnen der Dichter,
der die letzten Geheimnisse ahnt. Zu ihnen muß man sich setzen. Von ihnen das Deklinieren
hinter den Flaschen lernen, ihre Vergleiche sich merken und sie befragen nach den Qualitäten
ohnegleichen, nach den Sonnen ohne Makel, nach jenen Herbsten über allen Zeiten.

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