Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 12
(PDF, 30 MB)
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Wohl gemerkt, wir hätten x-mal aussteigen und verschwinden können. Wir kamen nicht auf
diese Idee. Wir dachten, daß die Eltern derer, die verschwunden wären, Schwierigkeiten bekämen
, wahrscheinlich festgenommen würden. Laval (3) hatte das in einer Rede angekündigt.
Mein Vater hatte mir gesagt, daß meine Mutter und er in ihrem Alter einem Internierungslager
nicht standhalten könnten. Wir mußten also hinfahren. Im Übrigen, wenn ich aus dem Zug
gesprungen wäre und zwei Jahre irgendwo im Untergrund gelebt hätte, weiß keiner, ob ich
nicht einen ruhmreichen Tod erlitten hätte, und nie dieses hier zu meinem Vergnügen
geschrieben hätte. Wenn ich mir das so überlege, bedaure ich nichts. [...]

Als der Morgen gekommen war und der Zug sich in Bewegung setzte und wir den Rhein überquerten
, [...] klopfte mir doch etwas das Herz. Ich war entschlossen, den Eltern davon nichts
oder möglichst wenig zu sagen, so lange ich schreiben konnte. Ich hielt mich daran. [...] So
habe ich den Rhein überquert, sicher nicht freiwillig, aber meinem Schicksal ergeben wie eine
Maus in der Falle. [...] Drei Tage früher, am 25. Juli, hatte man Mussolini gefangen genommen
. War das nicht das Ende? Bis dahin noch ein paar Abenteuer - und weiß Gott, Abenteuer
habe ich erlebt.9

Die fröhliche Ausgelassenheit im Zug war also nur teilweise echt gewesen. Beklommenheit,
Angst vor dem Ungewissen jenseits der Grenze ließen die jungen Leute schweigsam werden,
so still, daß Jose sich auf der Fahrt mit Lektüre ablenken konnte. Aber mit Rücksicht auf seine
Eltern verheimlichte der Sohn sein Unbehagen. Aus dem gleichen Grunde nutzte er auch nicht
die zahllosen Gelegenheiten zur Flucht: Seinen Eltern hätten Repressalien gedroht, die sie -
wie er glaubte - nicht überstanden hätten, und er liebte seine Eltern über alles.

Jose - Jugend und Krieg

Jose war ein eher schmächtiger junger Mann. „Wir nannten ihn nur
den Josefli': Er hatte nicht die Statur eines Handwerkers, er war ein
hagers Männli."10 Seine wachen Augen, die kritisch hinter einer Brille
hervorschauten, verrieten Intelligenz und Klugheit. „Er hat viel gelesen
, war wißbegierig"", erinnert sich Frau Moser, und in der Tat verbrachte
er seine freie Zeit mit Büchern und Schreiben. Schon drei
Jahre vor seinem Deutschlandaufenthalt, mit 18 Jahren, verfasste er
das folgende, seinem Äußeren wenig schmeichelhafte Selbstbildnis:
Was mein Aussehen betrifft, bin ich eindeutig häßlich, mehr als

häßlich. Mitunter finde ich mich abstoßend. [...] Meine Augen liegen Abb. 5: Jose 1943
zu tief, meine Stirn und mein Kinn springen zu weit vor. Mein Kopf ist

riesig.12 In der Toulouser Gesellschaft hatte er nach eigener Bekundung den Ruf eines
Dickschädels."

Am 24. März 1922 in Toulouse geboren, hatten in seiner wohlhabenden, großbürgerlichen,
mütterlicherseits adligen Familie Harmonie, Geborgenheit und ein strenger Katholizismus
seine behütete Kindheit und frühe Jugend geprägt, die er mit seinen Eltern, mehreren
Geschwistern und Verwandten abwechselnd in seiner Geburtsstadt und - in den Ferien - auf

9 Cabanis, Lettres, S. 13 ff.

10 Heinz Thaller, Zeitzeuge, am 30.11.02. Alle Interviews mit Zeitzeugen wurden auf Band aufgezeichnet.
" Hanni Moser, Zeitzeugin, am 23.11.02.

12 Cabanis, Les profondes annees, S. 163.

13 Cabanis, Lettres, S. 54.

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