Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 43
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öffneten sich. Der Weg stieg sanft an und bedeckte sich zusehends mit einer Grasschicht, die
um so dichter wurde, je mehr man sich dem Wald näherte. Wenn ich mich umdrehte, dann sah
ich die kleine Stadt, welche die meine, meine neue Welt geworden war, die zwei Kirchtürme, die
vielen Dächer, darunter auch das der Fabrik, die jetzt harmlos und friedlich aussah. Weiter
hinten lag die Rheinebene, die sich noch viel weiter erstreckte, die man aber nicht ausmachen
konnte. Und bei sehr gutem Wetter zeigten sich die Vogesen und Frankreich, mein Land und
mein früheres Leben. Der Bruch war auf allen Gebieten plötzlich und vollkommen gewesen.
Ich war mir bewußt, eine unvergleichliche Erfahrung zu machen, die ich nie bereuen würde,
falls ich mit heiler Haut davonkäme.91

Zum ersten Mal entdeckte ich die Schönheit der Welt - ausgehend von fast nichts, denn nur ein
winzig kleiner Winkel der Welt war mir geblieben. Ich ging nicht weiter als bis zu einigen Dörfern
, bis zu jenen, von wo aus man im Laufe des Nachmittags zurückkommen konnte: Bombach,
Heimbach, Hecklingen, aber ihre Namen klingen wie Musik in meiner Erinnerung.91' Zwar hatte
Jose in Frankreich viel auf dem Land gelebt, aber ohne es wirklich zu sehen. Jetzt in Deutschland
- so berichtet er - lernte er einen Weg bewusst zu gehen, die sanfte Bewegung einer alleinstehenden
Birke, eine Wiesenblume, einen Stein zu bewundern. Er durchquerte den Wald,
Lichtungen öffneten sich und neue Täler, in denen die schräg stehende Sonne im Morgennebel
spielte. Über mir war der Himmel schön, den ich bis dahin nicht zu sehen verstanden hatte.9*
Und er schwärmt von der Entdeckung der Nacht, deren Zauber er nie zuvor geahnt hatte: Ich
entdeckte auch die Nacht, und was das ist, eine Frühlingsnacht oder eine laue Sommernacht
oder auch eine Winternacht im Schnee, wenn sich kein Hauch in der transparenten, reinen Luft
regt.95 Er erkannte, dass er diese Entdeckungen der abstumpfenden, nervtötenden Arbeit verdankte
, die er in endlosen Stunden jeden ganzen, langen Tag der Woche, eingeschlossen in lärmende
Hallen, wo die Zeit stehen blieb, verrichten musste. Wenn er dann endlich frei war, am
Abend, schienen ihm diese Stunden der Nacht um so unbegreiflich wunderbarer.

Anna

Nach Einbruch der Dunkelheit traf er sich mit Anna
auf den Pfaden, die von der Stadt wegführen. Sie
arbeitete ebenfalls bei Kaiser-Apparate-Bau und war
knapp 20 Jahre alt. Er wurde nicht müde, ihr bezauberndes
Gesicht zu betrachten. Ich hatte sie gleich
bei meiner Ankunft bei „Kaiser" bemerkt, und ich
erinnere mich, mehrmals 'Mein Gott, ist die hübsch!'
gesagt zu haben. Sie war damals außergewöhnlich
zurückhaltend, und jedes Mal, wenn ich in der Fabrik
meine Augen auf sie heftete, errötete sie und senkte
den Kopf. Ich habe vergessen, von wem die Idee für
unseren ersten Spaziergang stammte. Ich glaube, es
war Nina (33). Das war einige Tage vor Weihnachten.
Nachdem wir gegen fünf Uhr aus der Fabrik gekommen
waren, brachen wir - Nina, B., Anna und ich - auf
dem schmalen Feldweg am Fuße der Hügel in Richtung
Hecklingen auf.

92 Cabanis, Les profondes annees, S. 205.

Ebd., S. 206.
94 Ebd.
" Ebd.

Abb. 35: Anna

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