Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 62
(PDF, 30 MB)
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Kenzingen unter Beschuss

Der Krieg ist zur alles bestimmenden Realität geworden. Die Offensive in den Ardennen ist
zurückgeschlagen, und die Deutschen werden nicht noch einmal in Paris einmarschieren. Jose
und seine Kameraden hoffen wieder, dass die Alliierten bald den Rhein überqueren werden und
fürchten den ungewissen Ausgang einer solchen Wendung. Am 7. Februar, das Abendessen in
der Kantine ist gerade zu Ende, setzt plötzlich gegen 19.30 Uhr heftiges Artilleriefeuer auf
Kenzingen ein. Jose stürzt ins Freie, um rasch nach Hause zu eilen. Er ist gerade bei der Pfarrkirche
, als diese, in 20 Metern Entfernung, von einer Granate getroffen wird. Jose liegt am
Boden, verliert seine Brille. In panischer Angst springt er auf und flieht in die Hügel, wo er die
Nacht bei ununterbrochenem Granatfeuer in einem Loch verbringt. Am Morgen traut er sich in
die Stadt zurück. Da tauchen Schwärme von Flugzeugen1''1 auf, die Kenzingen bombardieren
und mit Bordwaffen beschießen. Nach dem Frühstück flieht Jose mit zwei Kameraden wieder
aus der Stadt, wobei sie Wagen und die Kinder von Paula bis nach Bombach mitschleppen und
anschließend bis Heimbach weitereilen. Die Dramatik des Tages spiegelt sich in den stichwortartigen
Aufzeichnungen: Nacht und Tag unvergeßlich. Todmüde. Die Stille dieses Dorfes, weit
entfernt vom Lärm, den Explosionen, den Flugzeugen. Warte auf ein Bett, in dem ich endlich
schlafen kann.158 Das findet er aber nur im Keller des ,Lagers' bei den anderen, da er kein Recht
hat, in Heimbach zu übernachten.

Den ganzen Februar blieben am Tag Flugzeuge über Kenzingen und schickte nachts die
Artillerie aus dem Elsass Granaten in die Stadt. Man gewöhnte sich an diesen Zustand. Man

hatte gelernt, den Wänden entlang zu fliehen und sich, den Kopf zwischen die Arme gesteckt,
flach auf den Boden zu werfen, wenn man ein gewisses Pfeifen hörte, das für die nächsten 10
Sekunden den Tod ankündigen konnte. Man sah die Bomben in Ketten aus den Flugzeugen fallen
, und ihrer Flugbahn entsprechend stürzte man sich in die entgegengesetzte Richtung.*™
Man schlief ruhig des Nachts während die Artillerie Kenzingen beschoss.

25. Februar. Jetzt schlafe ich schon seit zehn Tagen im Keller des „Lagers " und gehe nur noch
am Tag auf mein Zimmer. Wenige Leute hier verbringen die Nacht in ihrem Bett. Die meisten
schlafen entweder in einem Keller oder in dem „Bunker", den sie sich in die Hügel gegraben
haben. Manche Familien leben ganz in diesen Höhlen, die durch eine Tür verschlossen sind,
einen Kamin und Holzbetten haben und manchmal regelrechte unterirdische Wohnungen sind.
Wenn man in den Hügeln spazieren geht, sieht man die Leute vor der Tür, und die Kamine
rauchen. Dabei ist es immerhin gut eine Woche her, daß die Artillerie nicht mehr direkt auf
Kenzingen geschossen hat, aber das kann jeden Augenblick losgehen, und man hat Angst. Es
ist acht Uhr morgens (Sonntag, ich komme aus der Messe und warte in meinem Zimmer darauf,
daß Frau H. mich zu meinem Frühstück ruft), und schon ist soeben ein Aufklärungsflugzeug
vorbeigezogen. Ich bin aufgestanden, um es zu sehen; es war gerade über dem Haus. Es ist
herrliches Wetter (Frühling!), und nach meinem Frühstück werde ich mich zu einem Spaziergang
in die Felder aufmachen - mit La Rochefoucauld (47). [...] Ich würde nicht so
weitschweifig erzählen, wenn mein Frühstück nicht auf sich warten ließe.160

Jose, der sich vorgenommen hatte, jeden Tag mit Anna vor ihrer Abreise möglichst viel Zeit zu
verbringen, notiert am 4. März: Aber gestern gegen fünf Uhr, während wir im „Engel" saßen
und Bridge spielten, war da plötzlich das Geräusch einer fallenden Bombe, ohne daß wir zuvor

157 Cabanis, Les profondes annees, S. 255.

158 Ebd.

159 Ebd., S. 258.
""'Ebd., S. 261.

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