Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 64
(PDF, 30 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2005-24-25/0066
Gefahrliche Mission

Zwei Wochen nach diesen Bombenangriffen, am 19. März, erhält Jose einen besonders
gefährlichen Auftrag. Hier ist sein Bericht:"'3

Man kam also auf die Idee, uns nahe bei Heidelberg eine in der Fabrik unbedingt benötigte
Säure holen zu lassen, deren Namen ich nie erfuhr. Wir, zwei andere Franzosen (B. und C.) und
ich, standen unter der Aufsicht eines Deutschen, der im übrigen Österreicher war. Er hieß
Hoffmann und war vor dem Krieg Tenor in Wien gewesen. Er war klein, hatte eine lange,
melierte Künstlermähne, Gesten und Kopfhaltung eines Gefreiten; der Krieg war ihm völlig
schnuppe. Wir sind mit ihm vor Tagesanbruch losgezogen und trugen zwei große, bauchige
Stahlflaschen, die zunächst leer und leicht waren und die wir in der Nähe von Heidelberg auffüllen
lassen sollten. Ich wußte nicht, ob ich in einer Woche noch leben würde. Wir mußten
Städte durchqueren und in ihnen übernachten, die schrecklich bombardiert worden waren,
ganz zu schweigen von den Angriffen unterwegs.

Die Alliierten hatten endlich im Norden den Rhein überquert. Und nach Norden fuhren wir,
bald im Zug, bald auf Militärlastwagen, die nahezu immer bereit waren, uns nachts mitzunehmen
, denn am Tag konnte sich fast nichts mehr bewegen, weil einem die Flugzeuge
keinen Augenblick Ruhe ließen. Das Ganze inmitten von Konvois von Soldaten, die an die
Front zogen, und Kolonnen von anderen, die, in Unordnung und in Auflösung begriffen, von
dort kamen, alles Männer, bei denen der Finger locker am Abzug lag. Es war der Beginn des
Endes der deutschen Armee. Man mußte schon etwas verrückt sein, in der Gegend herumzu-
spazieren mit diesen beiden auf dem Rückweg sehr schweren Flaschen, die wir zu zweit an
Henkeln trugen, wir, verdächtige Zivilisten, die wir aber durch die Wortgewalt unseres Österreichers
geschützt waren, der - man muß das so sagen - alle Herren Offiziere ansprach, von
der Waffenfabrik erzählte, deren Beauftragter er war, und ein Riesentheater aufführte.

Wir fuhren im Zug bis Offenburg, dann in einem von einem Traktor gezogenen Autobus nach
Appenweier. Der Güterbahnhof in Offenburg war schwer beschädigt: ausgebrannte, verzogene
Waggons auf Hunderten von Metern. Die Häuser an der Straße waren bis in den Keller ausgebombt
. In Appenweier hatte ich den Morgen zum Lesen. Dazu die obligatorische
Rokokokirche, das Mittagessen. Es war ruhig in diesem Dorf; Musik spielte im Gasthaus, in
dem wir bis zum Abend warteten. Man reiste nur nachts, die Gefahr war am Tag zu groß.
Gegenüber hing ein Hitlerportrait, über mir das Bild des gefallenen Sohnes, in einer Ecke ein
Kruzifix mit einigen verwelkten Blumen. Fliegen schwirrten um die Lampen. Ich hielt es für
möglich, daß ich am Abend tot sein würde.

Es war Viertel vor acht, als man die Lastwagen vorbereitete, und wir konnten jeden Augenblick
aufbrechen. Kein Kriegsbericht, so detailliert und schrecklich er auch sein möge, gibt eine
unmittelbare Vorstellung davon, was man empfindet, wenn eine einzelne Bombe in der Nähe
explodiert oder wenn eine einzelne Granate pfeift und krepiert oder wenn man in einigen
Metern das Knattern des Maschinengewehres hört (wie es war, als ein 'Nachtflieger' die
Straße unter Feuer nahm). Der Weg nach Karlsruhe wurde von der Artillerie mit Granaten
belegt, und wir fragten uns, ob wir durchkommen würden oder umkehren oder bleiben sollten.
Erst um zwei Uhr morgens brachen wir schließlich auf. Im letzten Augenblick bekam der Traktor
eine Panne. Wir fuhren per Auto bis Baden-Oos, wo wir auf den 3.30-Zug nach Karlsruhe
warteten. Der Bahnhof von Karlsruhe war ein Trümmerhaufen aus verbogenem Metall, voller

Das gesamte Kapitel „Gefährliche Mission" (Seiten 64 bis 66) ist ein Auszug aus Jose Cabanis' Tagebucheinträgen
vom 19.-25.3.1945. Durch leichte stilistische, nicht inhaltliche Änderungen wurde das
Original in einen zusammenhängenden, fortlaufenden Bericht in der Ichform verkürzt. Frei zitiert nach
Cabanis, Les profondes annees, S. 270-276.

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