Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 67
(PDF, 30 MB)
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Das Ende naht

Als Jose von seinem denkwürdigen Ausflug heil zurückgekommen war, wurde in seiner Fabrik
in Kenzingen nicht mehr gearbeitet: Es gab keine Teile mehr, kein Material, keinen Strom,
alle Nachrichtenübermittlungswege waren zusammengebrochen. Die von so weit unter Lebensgefahr
herangeschleppte Säure war nutzlos. Man schickte die Franzosen Gräben um Kenzingen
herum ausheben. Aber so viele Flugzeuge waren in der Luft, die sie entdeckten und
unter Beschuss nahmen, dass die Schanzarbeit bald abgesagt wurde - sehr zum Bedauern der
jungen Leute. Denn: Diese Erdarbeiten bestanden darin, mit den Mädchen herumzuschäkern,
denn man warf sich bunt gemischt auf den Grund der Gräben, wenn ein Flugzeug im Sturzflug
nahte. Man kann nie genau alles Unvorhersehbare und alle glücklichen Überraschungen des
Lebens voraussagen: Diese mit Maschinengewehren feuernden Flugzeuge hatten mich beim
ersten Mal vor nur einigen Monaten so sehr in Angst versetzt, und jetzt nutzte ich den Lärm
und das Durcheinander aus, um auf die Mädchen zu springen, die das auch als sehr lustig und
als günstige Gelegenheit empfanden. Wenn die Stadt bombardiert wurde, stürzte man in die
Keller hinunter. Man versuchte sich winzig zu machen und dachte sich nichts mehr dabei}6*

Drei Tage nach seiner glücklichen Heimkehr erfuhr Jose, dass er und seine Gruppe, wie alle
Ausländer, die weniger als 20 km vom Rhein entfernt wohnten, verlegt werden würden, aber -
wie üblich - sie wussten nicht wohin. Am Mittwoch Morgen müssen wir zu Fuß nach
Emmendingen gehen, das ist alles, was wir wissen. Wir denken an das, was wir hier verlieren:
Eine Stadt, in der wir so viele Freunde gewonnen haben, wo man uns eine gewisse Achtung
entgegenbrachte, all die Bücher, die wir zurücklassen. Ich denke an das, was ich hier verliere:
Das Haus von Paula, das fast mein Haus geworden war (in ihm schreibe ich gerade, und
soeben hat man mir einen Teller voller Bratkartoffeln, Kirschen und anderes gebracht), die
Musik, die ich dort hören konnte [...], die außergewöhnlichen Aufmerksamkeiten, die ganze
Zärtlichkeit Paulas, die mich pflegte, wie man sein Kind pflegt - und Anna, die mir angesichts
meiner Abreise wieder sehr lieb und teuer wird - und die Wege, wo ich glücklich war, und diese
Hügel, in denen wir so viele Stunden verbracht haben. Wir wissen nicht, was uns erwartet. Wir
können eine Herde werden, die man hin und her stößt.165

Es ist der Morgen des 4. April. Jose steht vor der Glastür von Saal 5 der Kaiser-Apparate-Bau
und wirft einen letzten Blick auf seinen Arbeitsplatz, an dem er sich über ein Jahr gelangweilt
und den Tag herbeigesehnt hat, an dem er ihn verlassen würde. Jetzt ist er gekommen: Jose hat
seine Papiere abgeholt. Das Band läuft, und drüben erblickt er Anna, über ihren Tisch gebeugt.
Ihm ist schwer ums Herz. Wie oft hatte ihn doch Annas Lächeln aufgemuntert, und wenn sie
an seinem Band arbeitete und ihn traurig fand, hatte sie eine kleine Blume in eines der Werkstücke
gelegt, die sie ihm sandte. Bei einbrechender Nacht wird er - wieder einmal - einen letzten
Spaziergang mit ihr machen, und sie werden sich zum Abschied ihre Liebe beteuern. Frühmorgens
am 5. April sieht er sie vor dem Cafe Frank auf ihrem Weg zur Arbeit: Sie hat ihm
den Rücken zugewandt und bemerkt ihn nicht. Er bewundert ihre blonden Haare und ihren
gemächlichen Gang. Das wird das letzte Bild sein, das ich von ihr behalten werde.166

Kurz nach Mittag warten Jose und seine Kameraden beim Arbeitsamt in Emmendingen. Sie
sollen zu einem Einsatz bei der Organisation Todt geschickt werden, wo harte Arbeit sie
erwarte. Dabei hatte Jose sich am Morgen noch berechtigte Hoffnungen machen können, in
Kenzingen bleiben zu dürfen, denn Paula hatte vom Arbeitsamt eine Erlaubnis erwirkt, die es

Cabanis, Les profondes annees, S. 281 f.
Ebd., S. 277.
Ebd., S. 279.

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