Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 108
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neres, dem glücklichen Morgen meines Lebens, war ich ganz Kind gewesen. In Valgros wuchs
ich heran.1" Während seiner gesamten frühen Kindheit lebte Jose in den Monaten Juli bis September
in Bagneres, im Schöße der Familie. Er war noch zu klein um sich am Spiel im Billardzimmer
oder auf dem hauseigenen Tennisplatz zu beteiligen. Dem Haus gegenüber stand
die Kirche eines von Mönchen geführten Heimes, in die er oft mit seiner Mutter eintrat, um ein
Gebet zu verrichteten. Rechts davon befand sich die evangelische Kirche, die ihm höchst seltsam
vorkam. Ich konnte mir schlecht eine andere Religion als die meine vorstellen.25* Diese
Sicherheit, die ich in Bagneres empfand, [...] habe ich wirklich nirgendwo ebenso tief wieder
empfunden.255

Der Verkauf des Hauses 1938 war für Jose ein tiefer Einschnitt in seinem Leben: Das Haus in
Bagneres bedeutete für uns nicht nur das kleine Wohnzimmer, die Küche, Mamas Schlafzimmer,
all die Räume, in denen wir gespielt hatten, den langen Garten, das Becken mit dem Springbrunnen
, die Blumen am Fuße der Terrasse und die großen Sträuße blauer Hortensien. Es war
in erster Linie der jetzt für immer verlorene Ort, wo wir alle zusammengewesen waren, meine
Eltern, meine Geschwister, meine Großmutter und Onkel Octave, der Ort, der durch nichts
anderes zu ersetzen war, so daß wir nie mehr alle beieinander sein würden.256
Von nun an verbrachte man die Ferienzeit aufgeteilt im Schloss von Valgros, das dem Gatten
von Joses Halbschwester gehörte oder in Trappe, bei den Trappisten, einem streng reformierten
Zisterzienserorden, dem sein Halbbruder Arnaud mit 16 Jahren beigetreten war. Dort nahm
Cabanis an der Abgeschiedenheit, der Ruhe und Besinnlichkeit des Lebens und der Arbeit hinter
Klostermauern teil. Ich mag zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen sein, als mein Bruder
Novize bei den Trappisten war und meine Mutter und ich ihn in den Oster- und Weihnachtsferien
besuchten. Wir wurden außerhalb des Klosters in drei feuchten und düsteren Zimmern
untergebracht, wo es nicht einmal elektrisches Licht gab. Dort verbrachten wir acht bis zehn
zeitlose Tage.257

Dagegen bedeutete Valgros nur Ferienzeit und Freiheit für ihn. Als Junge, bis er 17 Jahre alt
war, besuchte er dieses weithin sichtbare Schloss mit geräumigen Zimmern, kühl im Sommer,
mit geschnitzten Möbeln, Statuen, Salons mit Sitzgarnituren und Büchern, mit einem Zimmer
für Jose allein (dem Blauen Zimmer), einer reich ausgestatteten Bibliothek mit blauer Leselampe
auf dem Schreibtisch, mit Bediensteten und einem Park von üppiger Landschaft
umgeben, wo Vollblutrennpferde hinter weißen Zäunen weideten. Hier waren die Geschwister
noch jung, und die Erwachsenen erzählten ihm von der Geschichte, den Religionen, der
Malerei. Die Welt erschien mir nicht verdorben, das Leben nicht ungerecht. Es schien mir ganz
natürlich, in diesem Schloß zu wohnen, das man von überall her sah, mit seinen vier Türmen,
die die höchsten Bäume überragten.25*

Der Ort, an dem Cabanis die längste Zeit seines Lebens verbrachte, wurde das Haus in Nollet,
einem schlossähnlichen Bau auf dem Lande inmitten eines großen Besitzes. Im Winter
bewohnte Cabanis dort das obere, wärmere Stockwerk, im Sommer das kühlere untere. Hier
spielte sich sein Privatleben ab, hier pflegte er in einem winzigen Zimmerchen bis spät in die
Nacht oder bereits ab vier Uhr morgens zu schreiben, während er für die Ausübung seines
Berufes Toulouse gewählt hatte, wo er sich in einem „hötel", einem herrschaftlichen Stadthaus
mit Innenhof, dem alten Familienbesitz, ein Büro für seine juristische Arbeit eingerichtet hatte.
So strikt trennte er zwischen seinem Beruf in der Stadt und seinem privaten Daheim, dass er
die Telefonnummer seines Landhauses nicht preisgab.

253 Cabanis, Les profondes annees, S. 13.

254 Ebd., S. 151.

255 Ebd., S. 96.

256 Cabanis, Trugbild, S. 80.

257 Cabanis, Gabrielle, S. 112.

258 Cabanis, Les profondes annees, S. 12.

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