Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
32. und 33. Jahrgang.2012/2013
Seite: 61
(PDF, 62 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2013-32-33/0063
Der "Hofrotel von Andlau" 1284 und verwandte Quellen
als Hinweistexte für die mittelalterliche personengebundene
Uberlieferungskultur

Michael Prosser-Schell

I.

Der sogenannte "Hofrotel von Andlau" von 1284 gehört zu den frühesten uns überlieferten
volkssprachlichen, nicht mehr nur lateinischen schriftlichen Niederlegungen von
Dinghofrechten überhaupt. Auf Veranlassung der Äbtissin von Andlau wurden die Ansprüche
und Befugnisse der Grundherrschaft - eben diese war in Händen des elsässischen Klosters
- sowie der Vogtherrschaft - diese befand sich in Händen der Üsenberger Grafen - und der
zu den Dinghöfen des Klosters im Breisgau gehörigen bäuerlichen Hintersassen zum ersten
Mal in Mittelhochdeutsch aufgeschrieben. Als die betreffenden Dinghof-Orte werden
genannt "Kencingen" (Kenzingen), "Oteswant" (Ottoschwanden), "Endingen", "Bergen"
(Oberbergen), "Baldinge" (Bahlingen) und "Sexowe" (Sexau). Zum Verfahren des
Zustandekommens des Textes wird mitgeteilt, dass aus jeder dieser zum Kloster Andlau grundherrschaftlich
gehörenden Siedlungen vier Männer ausgewählt worden seien, um die Rechte
zu verkünden, damit sie im Wortlaut aufgeschrieben werden konnten: "Uzer ieclicheme der
vorgenante doerfer vier erbere man hant [wir] vzgenomen vnd vzerwelt, vnservi reht, der vorgenanten
herre, die in der gegene vnseres closters voegete sint, vnserre shultheizen, der hvo-
bere, der lehenlvite vnd ohc vnsers gotzhvses luite, reht ze sprechende. Die sint einmuetecliche,
nah deme eide, den si taten, uberein komen, und hant also gesriben geben1."

Es ist also zunächst einmal zu bemerken, dass hier bäuerliche Hintersassen, also illiterate, lese-
und schreibunkundige Personen als Verkünder des Textes und seines Inhalts bezeichnet werden.
Zur Begründung, warum man diese Texte verschriftlichte, nennt speziell unser Text von Andlau
sowohl eine (a) konkrete, fallbezogene Angelegenheit als auch (b) ein allgemeines Motiv: (a)
"die, die diese srift gesehent oder gehorent lesen, [sollen wissen] daz wir Anna von gottes
gnade diu ebtishin von Andelahe [Andlau], unde der convent, unde die edele herre, her Hesse
unde her Ruodolf die herre von Uesenberg, dur daz, daz wishent uns und in, oder iren luiten,
hinnenvur dehein missehel möge werden oder entspringen an den rehten, die wir hant oder
haben sollent", also damit über die jeweiligen Befugnisse und Ansprüche kein Streit ("dehein
missehel", keinerlei Misshelligkeit) mehr entstehen könne; und (b) "(Uv) Wände nah der weite
vnstetekeit die livte verwandelent sich [mutantur] vnd ir getät [actiones], so ist gar dvrft vnde
nvzber, daz der livte getät, mit sriften vnde mit ingesigelen, also bestetiget werden vnde be-
vestent, daz ir nahkome \ \ sie erkenen vnde wissen, reht alse si geshehen sint2. "

Das eine bezieht sich also auf ein individuell, auf genau diesen Ort bezogenes, historisches und
politisches Problem: Man kann, wenn man diesen Ausblick und diese Hoffnungsperspektive auf
die Zukunft liest, davon ausgehen, dass es wohl schon "missehel" zwischen den Parteien hier
gegeben hatte, denen die Fassung von Rechtssätzen in Schrift, die man auch vorlesen konnte,
abhelfen sollte. Das andere spricht einen anthropologischen Sachverhalt in kulturanthropologischer
Problematisierung an: Wenn Menschen sterben, drohen auch überlieferungsnotwendige
Inhalte verloren zu gehen. Mit anderen Worten, hier wird auf eine Überlieferung sozial

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