Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
34., 35. und 36. Jahrgang.2014-2016
Seite: 219
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Neuanfänge in einer Zeit der Not

Unter den anfangs misstrauischen, später zunehmend wohlwollenden Blicken der
Besatzungsmacht herrschte schon bald ein hohes Maß an Rechtssicherheit, dann
auch zunehmende Freiheit. 1949 hatte man an der Elz endlich einmal wieder einen
Anlass zur Freude, gegen den nicht einmal kritische Besatzungsoffiziere Einwände
erheben konnten: Das Jubiläum ,700 Jahre Stadt Kenzingen' wurde wie
eine Wiedergeburt gefeiert.

Die Kenzinger übten sich erneut in die parlamentarische Demokratie ein. Dazu
gehören freie, gleiche und geheime Wahlen, und für die Opposition die faire
Chance, nach der nächsten Wahl die Mehrheit der Abgeordneten zu stellen. Wiederbegründet
wurde die Sozialdemokratische Partei (Deutschlands' durfte sie
sich auf Anordnung der Besatzungsmacht anfangs nicht nennen). Katholiken und
Protestanten haben die Christlich Demokratische Union gegründet; zu lange verfeindet
, hatten sie während der Verfolgung durch das Regime entdeckt, wieviel
sie an wertvollen Gemeinsamkeiten hatten. Das den Katholiken nahestehende,
von den 1880er-Jahren bis 1933 einfiussreiche Zentrum spielte nach 1945 politisch
keine Rolle mehr.

Ein sicherer Rahmen war nötig, um die Wunden, die das untergegangene Regime
und der Krieg geschlagen hatten, vernarben, vielleicht gar heilen zu lassen. Einmal
mehr sahen sich die Kenzinger begünstigt, da viele von ihnen über Zugang zu
Nahrungsquellen verfügten. Trotzdem konnten Armut, Hunger und Wohnungsnot
erst seit Anfang der 1950er-Jahre spürbar zurückgedrängt werden. Das lag auch
daran, dass Restdeutschland von 1945 bis etwa 1957 fast 8 Millionen Flüchtlinge
und Vertriebene aus den östlichen Teilen des Reiches, aus Ost- und Südosteuropa
aufnehmen musste, Westdeutschland im Laufe der Jahre weitere 1,5 Millionen
Flüchtlinge aus der Sowjetischen Besatzungszone (bzw. Deutsche Demokratische
Republik). Opfer eines schlimmen Schicksals, mussten sie mit Wohnung, Nahrung
, Kleidung, Arbeit und all dem versorgt werden, was dem Leben Würde gibt.

Strukturwandel - revolutionär, wenn auch auf leisen Sohlen

Eine Folge des Zustroms von Entwurzelten: Die Bevölkerung Kenzingens wuchs,
von etwa 3000 Einwohnern (1939 und 1946) über mehr als 4000 (1954) auf 4886
(1970); 1974, nach Angliederung von Bombach, Hecklingen und Nordweil, lebten
in ,Groß-Kenzingen' 6637, Ende 2010 schon 9232 Personen. Mit dem Zuzug
der vielen Heimatlosen stieg die Wohnungsnot und der Anteil evangelischer Christen
an der Bevölkerung - eigentlich' ein doppeltes Problem; es wurde unauffällig
-friedlich gelöst, auch dank einer regen Bautätigkeit seit den 1960er-Jahren.

Die Eingliederung ist eine der großen, fast schon vergessenen Leistungen des
deutschen Volkes. Sie gelang, weil vielerlei zusammenkam: Die Verantwortlichen
haben nicht einmal erwogen, den Siegermächten mit Konflikten zu drohen, um

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