Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
39. Jahrgang.2019
Seite: 79
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ber ungenießbar gemacht. Das Ganze war eine große Lehrstunde in Vogelanatomie
. Für unseren koscheren Haushalt waren in der Zeit vor den pflanzlichen
Fetten Hühner und Gänse eine unverzichtbare Quelle von Fett, das für Fleischgerichte
benutzt wurde. Um das Fett auszulassen, wurde die Haut gebraten, und man
erhielt zusätzlich knusprige Grieben.

Unser Speisezettel (Anhang) bestand aus einer Mischung lokaler und traditioneller
jüdischer Gerichte, darunter vielen aus dem Elsass, dem Herkunftsland der
Familie. Kartoffeln waren ein Grundnahrungsmittel, serviert in vielen Variationen
. Frisches Gemüse gab es nur im Sommer; für den Rest des Jahres griffen wir
auf Linas Eingemachtes zurück. Das Brot war generell ein schweres Roggenbrot
oder Pumpernickel. Weiße Brötchen waren besondere Leckerbissen gerade für
uns Kinder, und sie wurden von den Dorffamilien zu feierlichen Anlässen wie z.B.
einer Hochzeit verteilt. Unter den lokalen Gerichten war Talgpudding (Kugel) ein
Favorit. Dieses Gericht, ein wahrhaftiger Arterienblocker, war etwa das Äquivalent
zum osteuropäischen Cholent, einem Fleisch-Gemüse-Bohnengericht, das
über Nacht in einem mäßigheißen Ofen langsam garen musste, da es in Phasen
gebacken wurde und für den Schabbat im Ofen heiß gehalten werden konnte. Der
Talg für dieses Gericht kam oft von der Rinderbrust, die zu Sauerbraten verarbeitet
wurde. Gedeckt mit Pflaumen oder Birnen war Kugel ein Genuss im Winter.
Innereien wurden oft gegessen, insbesondere Rinderzunge und Lunge, süß-sauer
zubereitet. Für milchige Mahlzeiten gab es einen Spätzleauflauf mit abwechselnden
Lagen von Spätzle und frisch gekochten grünen Bohnen, überbacken mit viel
Butter und Croutons. Der elsässische Einfluss zeigte sich in der Mischung von
Sauerkraut und Kartoffelbrei, heiß serviert mit Würstchen. Wurst war auch eine
wichtige Einlage für Kartoffelsuppe. Eine Lieblingsnachspeise, Kastanien-Pflaumenkompott
, hat auch elsässische Vorläufer. Linzertorte wiederum ist in Kenzin-
gen stark verwurzelt. Diese leckere Torte besteht aus einem Nussteig bestrichen
mit Himbeermarmelade. Lina machte immer zwei davon, da sie sich lange gut
aufbewahren ließen. Man hatte dann eine in Reserve für Gäste oder als Beitrag zu
einem Leichenschmaus nach einer Beerdigung.

Mama kochte gern und brachte einige anspruchsvollere Gerichte aus der Großstadt
mit nach Kenzingen. Im Sommer, wenn es frische Pfirsiche gab, machte
sie ein besonders feines Dessert, von uns „Götterspeise" genannt, bestehend aus
Lagen von Biskuit, Pfirsichen und Weincreme. Sie buk vielerlei Kekse, auch Lebkuchen
, sehr beliebt in der Weihnachtszeit in Deutschland. Sogar ihr Alltagsessen
bekam oft einen besonderen Touch: Russische Eier wurden mit Petersilie oder
ungarischer Paprika garniert; Pudding wurde in individuelle Förmchen gefüllt.
Gerade das imponierte einigen Dorfkindern, die sich auch im hohen Alter daran
erinnern konnten, dass ihre Mütter den Pudding aus einer großen Schüssel schöpften
, während Frau Dreifuß ihn in hübschen Formen servierte. An Gottesdiensten
in der Synagoge teilzunehmen, war selten möglich, da die nächste Synagoge in

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