Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
39. Jahrgang.2019
Seite: 90
(PDF, 34 MB)
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Im Gespräch

Irene Epstein De Cou, Piedade Grinberg und Monika Rappenecker

Am 20. Mai 2019 trafen sich Irene De Cou aus Le Vesinet/Frankreich und ihre Cousine
Piedade Grinberg aus Rio de Janeiro/Brasilien in Kenzingen zu einem Gespräch.
Dabei ging es unter anderem darum zu beschreiben wie schwierig es lange Jahre für
Irene De Cou war, sich auf die Suche nach den Spuren ihres Vaters zu machen und
fragen zu lernen. Es ging um den Weg nach Kenzingen, die Bedeutung des Geburtsortes
des Vaters heute, die Vorstellung vom Vater, den Irene nie gekannt hat, und die
Motive, heute Jugendlichen vom Schicksal des Vaters zu berichten.

Die Fragen stellte Monika Rappenecker von der Initiative „Nazi-Terror gegen Jugendliche
Freiburg".

In ihrem Bericht hat mich besonders berührt, iass Sie sagen „Ich musste 60
Jahre alt werden, um zu erfahren, was mit meinem Vater geschehen ist." Wie
sehen Sie das heute?

Wenn ich sehe, wie sich andere Leute in derselben Situation verhalten, dann kann ich
sagen: Es braucht eine lange Zeit, bis man wissen will, was passiert ist. Als junges
Mädchen und als junge Frau hatte ich lange nur das eine Ziel, nämlich zu leben. Ich
wollte nichts über meine Vergangenheit wissen, und ich wollte nichts über Deutschland
wissen. Ich wollte nur vergessen. Und eines Tages, wenn du älter wirst, stellst du
erstaunt fest, dass du eine Identität hast. Ich lebe heute nicht mehr religiös, aber ich
wurde in der jüdischen Tradition erzogen. Das war damals eine Art Familie für mich
und half mir, bestimmte Werte zu haben. Aber eines Tages wollte ich davon nichts
mehr wissen. Die Religion gehörte zur Vergangenheit.

Ich denke, alles begann, als ich 1998 das erste Mal nach Deutschland kam und die
Geschichte meiner Familie hier entdeckte. Als ich 2004 wieder kam, wurde ich als die
Tochter meines Vaters interviewt. Otto Zinsser arbeitete an einem Porträt über ihn,
und ich musste feststellen, dass ich nichts über meinen Vater wusste. Sie erzählten
mir, dass er nach Eygalayes in der Dröme gegangen war, und als ich dort anrief, erfuhr
ich, dass mein Vater in einem Buch über den Widerstand vorkam. Ich wusste das
nicht. Und dann begann ich, mehr Fragen zu stellen.

Als junge Frau lebte ich allein in Strasbourg und wusste nichts von meiner Familie.
Als ich das erste Mal nach Eichstetten kam, und ich auf dem Friedhof die vielen Gräber
mit dem Namen Epstein sah, war es wie ein Schock für mich. Ich wusste nicht,
dass ich eine so große Familie hatte. Und ich dachte die ganze Zeit, ich wäre allein.
Das war plötzlich ein großer Unterschied.

Ich war in Brasilien mit meinen zwei Onkel, den Brüdern meines Vaters - und fragte
nichts. Ich war bei meiner Tante in London, wir waren uns sehr nah, ich war fast jedes
Jahr da - und ich fragte nichts. Das ist schrecklich, denn wenn du schließlich beginnst,
dich für etwas zu interessieren, dann sind die Menschen, die deine Fragen beantworten
könnten, plötzlich nicht mehr da. Aber ich hatte damals einfach kein Interesse...

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