http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1920/0425
Zeller: Ueber Expressionismus als Ausdruck e. myst Weltanschauung. 411
los. Seit 200 Jahren hat der Rationalismus die unergründlichen
Tiefen des Seelenlebens wegdisputiert. Der Expressionismus so-
wohl in der Malerei als in der Dichtung ist sich dieser Tatsache
teilweise wohl bewußt, die jungen Künstler und Dichter, so auch
jener Maler, von dem ich oben erzählte, sind großenteils überzeugte
Okkultisten. Der Expressionismus erscheint als die künstlerische
Form, in der sich das so lange gewaltsam unterdrückte
Jenseitsempfinden, das stolze Gefühl von der Göttlichkeit der
Seele zum Allgemeinbewußtsein durchringt. Seine Form kann
gar nicht anders als himmelanstrebend, überschwenglich, ja sogar
krankhaft sein. Es gilt, durch Entgegenkommen, durch sachliche
, okkultistische Forschung und entsprechende Umgestaltung
der Weltanschauung diese jugendliche Bewegung in gemäßigte
Bahnen zu lenken. Die materialistische Naturwissenschaft hat ihr
gerütteltes Maß von Schuld daran, daß die neue Bewegung so
explosiv auftritt. Mit bloßem Aburteilen ist es hier jedenfalls
nicht getan.
Zum Schluß will ich noch auf ein eigenartiges Werk von Hermann
Bahr, Expressionismus, München 1919, hinweisen, wo mit
Berufung auf Goethe dem Kecht der Innerlichkeit, der Mystik,
das Wort geredet wird. Das Geheimnis des Expressionismus, das
übrigens unmerklich zum Krankhaften hinüberführt, wird dort
zwar nicht erklärt, aber wir ahnen doch etwas von einer gewissen
Gesetzlichkeit, das dunkle Rätselwort erscheint sinnvoller als
auf den ersten Eindruck hin. Das künstlerische Sehen des Expressionismus
wird uns wenigstens teilweise verständlich gemacht.
Freilich erschöpfend ist dort das Problem nicht behandelt. Das
könnte am ehesten durch eine Geschichte des Expressionismus
von den Byzantinern und der Gotik über Grünewald, El Greco,
Rembrandt, der als Lichtmaler ja durchaus stilisiert, folglich Expressionist
ist, bis zu van Gogh und den Neueren hin geschehen.
Dann müßte der Expressionismus als berechtigte Reaktion gegen
den Rationalismus und Materialismus, als mystische Weltanschauung
, die mit dem wissenschaftlichen Okkultismus Hand in
Hand zu gehen hat, geschildert werden. In der Literaturangabe
am Schluß weist Hermann Bahr mit großem Nachdruck auf Ludwig
Staudenmaier hin: „Erst als ich die Korrekturen las, kam mir
Dr. Ludwig Staudenmaiers höchst merkwürdiges Werk über „Die
Magie als experimentelle Naturwissenschaft" unter (Leipzig 1912,
Akademische Verlagsgesellschaft), das ich ausgiebig hätte benutzen
können." Schade, daß wir seine Auseinandersetzung mit
diesem Werk, somit also dem okkultistischen Problem, in seinem
Buch nicht erfahren. Vielleicht daß eine neue Auflage davon
Kunde gibt.
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