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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
75.1957
Seite: 211
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Die Marionette ist dabei gleichsam die vornehmere Gattung. Ihr fallen
schon im 17. Jahrhundert Aufführungen zu, die ganze Abendvorstellungen
füllen. Im England des 17. Jahrhunderts spielt man so Shakespeare, Legenden-
und Bibelstücke und im 18. Jahrhundert Parodien der italienischen Oper mit
Marionetten; im Frankreich des 18. Jahrhunderts kommt Moliere auf die
Marionettenbühne. Lesage schreibt ebenso Marionettendramen wie Haydn
eine Marionettenoper komponierte, und das setzt sich fort bis zu dem literarischen
italienischen Marionettentheater des 19. Jahrhunderts, das Stendhal sah,
und den Schatten- und Marionettenspielen der Tieck, Eichendorff, Arnim,
Kerner, Mörike und des Grafen Franz von Pocci in Deutschland. Wenn die
Marionettenspieler dabei auch meist Fahrende sind, so appellieren sie doch
mit Erfolg an ein sozial vielfältig zusammengesetztes Publikum, in dem auch
die Vornehmen nicht fehlen2. Die Handpuppe dagegen ist ungleich mehr Sache
der Kinder und des niederen Volkes. Anders als die Marionette wird sie oft
nur gebraucht, um Quaksalbern und Wunderärzten zur beiläufigen Reklame
zu dienen; wo sie in dramatischen Handlungen auftritt, beschränken diese sich
meist auf Kurzszenen und einfache Dialoge. Die Marionette verfügt weiter
über Theater, deren Bühneneinrichtung ein Abbild des europäischen Barocktheaters
ist - sie hat Kulissen, Beleuchtung, Flammen- und Versenkungseffekte
und erfordert viele Spieler3. Die Handpuppenbühne dagegen ist meist
die einfache Bude oder das bloße über einen Stock gespannte Tuch, hinter
dem ein einziger Spieler seine kleinen Figuren agieren läßt. Die Marionette
ist auch als Gestalt „selbständiger" als die Flandpuppe. Sie ist automaten-
haftes Abbild des Menschen von Kopf bis Fuß in ungleich stärkerem Maße
als die Handpuppe, jenes meist beinlose, kleine Gebilde aus Haupt und zappligem
Gliederwams, das sich der darinsteckenden Hand des Spielers fügt.
Während die Marionette so auch außerhalb der Vorstellung noch ein, durch
Storms Novelle „Pole Poppenspäler" besonders schön verdeutlichtes, oft unheimliches
Eigenleben besitzt, sinkt die Handpuppe nach dem Spiel in sich
zusammen, ein kleiner, leerer Handschuh mit aufgesetztem Kopf. So hat sich
auch die denkende Phantasie der Marionette ungleich stärker als der Handpuppe
bemächtigt. Das reicht von den zahlreichen Zeugnissen des Barocks, in
denen die Marionette mit dem Menschen verglichen und ihr Theatrum Symbol
der menschlichen Lebensbühne, der „Scaena mundi" wird, bis hin zu Heinrich
von Kleists schönem Aufsatz „Über das Marionettentheater", der der Marionette
ein „naives" Eigenleben zuerkennt und den Beginn einer ganzen
Philosophie der Fadenpuppe bedeutet, die in Gordon Craigs Wertung der
Marionette und Shaws Hochschätzung der Fadenpuppe einen Gipfelpunkt
erreicht4.

Als T heodor Schlick 1912 mit seinen Plandpuppenspielen in Freiburg begann
, war es sein entscheidendes Verdienst, die geschilderte Spannung
zwischen der kultivierteren Marionette und dem primitiven Jahrmarkts-

2 Vgl. L. G I a n z , Das Puppenspiel und sein Publikum, 1941. — Friedrich Nicolai findet bezeichnenderweise
1781 in Augsburg bei den Marionetten ..viel vornehmere Gesellschaft", als er sich vorgestellt
hatte (ß o e h n a. a. O., S. 117).

3 Gräfin Line von Egloffstein schreibt am 14. 12. 1S09 aus Weimar an ihre Schwester: „Gestern haben wir
endlich unsere holden Marionetten gesehen und sind davon noch bezaubert, daß wir ganz unklug darüber
werden könnten. Verwandlungen und Dekorationen sind im höchsten Grade bewunderungswürdig
. . ." (B o e h n a. a. O., S. 129).

4 Vgl. Näheres dazu bei E. R a p p , Die Marionette in der deutschen Dichtung vom Sturm und Drang
bis zur Romantik, 1924, und R. M ajut, Lebensbiihne und Marionette, 1931. Zu Craig und Shaw vgl.
Boelin a. a. O., S. 206.

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