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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1963/0061
Augenblick vorweggenommen hat20. Die angelsächsische, aus dem Altsächsischen
übersetzte Genesis hatte davon gesprochen, daß sich Luzifer einen höheren
Stuhl, als er bereits innehatte, „schaffen" oder „bereiten" wollte (ags. Genesis
272—274, 280—282)21.

In der Wiener Fassung ist sehr viel plastischer und daher für die Darstellung
in einer Skulpturengruppe sehr viel geeigneter von einem „Emporsetzen"
die Rede.

Unverständlich ist zunächst noch, wieso die Richtungsangabe des Hinauf,
das in dieser Empörung enthaltene „Empor", in der Dichtung als norderen halp,
„nördlich davon", erscheint. Die Vorstellung, daß Luzifer seinen Stuhl nordwärts
von Gottes Thron aufstellen will, begegnet schon bei Notker, der die
Psalmenstelle Aquilonem et mare tu creasti so erläutert:

Daz nord • unde den mere gescüofe du • So-uuio diabolus
nort-halb ib. sezzo minin stuol nort-halb

si in aquilone also er chad • PONAM SEDEM MEAM IN AQVILONE
tünist

• unde so-uuio tempestas si in mari ■ siu negemugen doh
nieht über dinen uuillen22.

Die Wurzeln dieses Gedankens finden sich an derselben Bibelstelle, von der
auch der Name Luzifer für den Teufel herrührt, nämlich im Triumphlied
Jesajas über den Sturz des Königs von Babylon, der dort mit dem Morgenstern
verglichen wird:

Jes. 14. 12 Quomodo cecidisti de caelo,
Lucifer, qui mane oriebaris?
corruisti in terram,
qui vulnerabas gentes;

13 qui dicebas in corde tuo:
In caelum conscendam,
super astra Dei
exaltabo solium meum;
sedebo in monte testamenti,
in lateribus Aquilonis;

20 Die bildliche Darstellung, die Luzifers Erhebung und sein Sturz im Hortus deliciarum der elsässischen
Äbtissin Herrad von Landsperg (12. Jahrhundert) gefunden hat, gliedert dieses Ereignis in zwei Szenen:
der sich erhebende Luzifer erscheint noch in strahlender Schönheit; erst der von Michael gestürzte trägt
eine häßliche Fratze. Ein der Erhebungsszene beigegebenes Spruchband trägt die Inschrift: In celum
conscendam super astra celi exaltabo solium meum sedebo in monte testamenti in lateribus aquilonum,
ascendam super altitudinem nubium. Das ist wörtlich aus Jesaja 14. 13—14 entnommen; dazu siehe unten!
Obwohl Herrad hier vom Stuhl (solium) und vom Sitzen (sedebo) spricht, stellt sie Luzifer niemals
sitzend, sondern stehend dar, während in den unmittelbar benachbarten Darstellungen von der Erschaffung
der Engel und der der Menschen der Person Gott-Vaters ein einsitziges solium und der beratenden
Trinität ein dreisitziges, bankartiges, zugewiesen wird. Für Herrad kommt ein Stuhl nur der göttlichen
Majestät zu; obwohl sie den Gedanken von einem Stuhl Luzifers kennt, scheut sie sich, das bildlich darzustellen
. Erst der Meister des Freiburger Nordportals hat das gewagt, zweihundert Jahre später.
Vgl. A. Straub / G. Keller, Herrade de Landsperg: Hortus deliciarum (Reproduction heliographique . . .),
Straßburg 1879—1899, Band I, Tafel I—III.

21 Übertragung: „Um der allein ihm gehörigen Heerschar willen sann er darauf, wie er sich einen gewaltigeren
Stuhl verschaffte, einen höheren in den Himmeln", und: „Ich habe große Macht, einen herrlicheren
Stuhl, einen höheren im Himmel, zu bereiten."

22 Übertragung: „Du hast den Norden und das Meer geschaffen. Wenn auch der Teufel im Norden ist (so
wie er gesagt hat: ,Ich werde meinen Stuhl im Norden errichten') und wenn auch der Sturm im Meere ist,
sie vermögen doch nichts über deinen Willen."

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