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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1975/0068
widerlegen. Wahrscheinlich das Erstere, denn bei Versuchen, Quecksilber in Silber
zu überführen (nach Hemmerlin) oder Blei, die prima Materia, in Gold(farbe) zu
verwandeln (nach dem Feuerwerkbuch) benutzte er die damals stärkste bekannte
Energieform, wie sie beim Verbrennen von Kohle oder öl und Schwefel mit Salpeter
frei wird. Dabei entdeckte er, daß fest eingeschlossene Gase, die hoch erhitzt
werden, Drucke entwickeln, die alles damals Bekannte übertrafen. Das Phänomen,
das zur Zertrümmerung aller seiner Druckgefäße führte, erkannt und zum Schleudern
von Geschossen angewendet zu haben, ist Bertholds eigentliche Erfindung. Er
hat diese und die zugehörigen optimalen ersten Mehlpulver entwickelt.

Die damaligen Büchsenmeister und Feuerwerker waren aber der irrtümlichen
Auffassung, daß nicht die eingeschlossenen Gase, sondern der Feuerstrahl ein Geschoß
antreibt. Sie ließen sich durch die um 1232 in China erfundene Rakete täuschen
, die auf feurigem Strahl davonfliegt. So versuchten sie, die Geschosse ihrer
primitiven Feuerrohre möglichst reibungsfrei zu lagern, damit sie nicht schon beim
Abschuß gebremst würden. Die Folge war, daß sich keine nennenswerten Drucke
hinter ihnen ausbilden konnten. Die Schußweiten dieser Niederdruckgeschütze
lagen um höchstens 400 Meter, etwa genau soweit wie die einer Bailiste, und eine
gute Armbrust konnte einen Gepanzerten eher durchschlagen wie die Steine, Eisenklumpen
oder Bolzen der ersten Geschütze. Wenn sich Waffenhistoriker wundern,
weshalb sich die Feuerwaffe der ersten Zeit so langsam durchsetzte, dann ist der
Grund in der falschen Auffassung vom Schußvorgang zu suchen. Noch 1366 schreibt
Francesco Petrarca von jenen „hölzernenRöhren, einer neuerlich erfundenen Pest",
was auf die Verwendung von Niederdruckgeschützen hinweist.

Zehn Jahre später aber, 1376, beschreibt Redusio da Quero im Chronico Travi-
sano die neue Waffe, die umstürzende, deren Schußweiten um 2500 Meter betrugen
, die wenige Jahre später Steine von Zentnergewicht schleuderte, die mauerbrechende
, die der Pulverwaffe zum endgültigen Durchbruch verhalf, die Steinbüchse
. Sie war die erste Hochdruckwaffe, der Vorläufer der heutigen Schußwaffe,
noch ganz einem chemischen Mörser ähnlich. Sie war Bertholds Werk. Er hatte erkannt
, welche ungeheuren Drucke hocherhitzte, eingeschlossene Gase erzeugen -
beim Abschuß einer modernen Gewehrpatrone entsteht ein Anfangsdruck von
etwa 1200 Atmosphären -, wenn man das Geschoß absolut gasdicht einbringt und
festlegt. Aus dem vergleichsweise harmlosen „Feuertopf" der Frühzeit der Pulverwaffen
, dem pot de Fer, Vasa, sciopetto usw. war die erste Kanone im heutigen
Sinne entstanden, die Steinbüchse. Berthold verschloß seine pulvergefüllten Mörser
mit einem fest eingeschlagenen Holzklotz, auf den der Stein gelegt und seitlich festgekeilt
wurde. Das war in der Zeit zwischen 1365 und 1375. In den folgenden
Jahren erfolgte eine geradezu sprungartige Entwicklung der Feuerwaffen. Ob Berthold
in jenen Jahren noch weitergearbeitet hat, wissen wir nicht. Aber wenige
Jahre nach seinem 1388 erfolgten Tode schreibt der schon erwähnte Feuerwerker
sein Buch. In lapidarer Form steht dort der Text, den bisher niemand zu lesen verstand
:

„Nun sprechen etliche (Meister), das Feuer erzeuge die Kraft, den Stein zu treiben.
Ich aber sage: Es ist der Druck der Pulvergase, der den Stein schleudert!"

Das ist die erste der 12 Büchsenmeisterfragen, die folgenden betreffen die Wir-

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