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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
111.1992
Seite: 171
(PDF, 29 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1992/0173
Es war Wilhelm Engler, der SPD-Parteisekretär und Stadtverordnete für Freiburg
,89 der in der Welle des Nürnberger Parteitages die Position der Badener in der
erbitterten Programmdiskussion öffentlich klarstellte und sich damit in diametralen
Gegensatz zu Rosa Luxemburg stellte. Wer, wie er, nicht auf die überholte „Katastrophentheorie
" schwöre, „sondern an eine organische Entwicklung vom Kapitalismus
zum Sozialismus glaubt", der müsse notwendigerweise den von der badischen SPD
abgesteckten parlamentarischen Weg beschreiten. Dort eben, im Landtag, habe „die
Sozialdemokratie anzusetzen, indem sie Forderungen stellt, welche im Interesse des
arbeitenden Volkes liegen". Denn, so hieß es hierzu weiter, „jeder Arbeiter [. . .]
prüft zuerst unser Verhalten zu den Dingen, welche ihm auf den Nägeln brennen, und
nachher unser Endziel". Vor diesem Hintergrund sei die pragmatische Zusammenarbeit
mit anderen politischen Gruppierungen, sei auch die Etatbewilligung nur logisch
. Jeder andere Weg hätte „die Partei in ihrer Entwicklung schwer geschädigt,
[...] und somit lag ein zwingender Grund vor für die Zustimmung".90

Wilhelm Engler und Rosa Luxemburg hatten in ihrer politischen Arbeit keine Gemeinsamkeiten
. Zu kontrovers waren ihre Strategien zu ihren nur noch vordergründig
identischen gesellschaftspolitischen Zielen. Begann das Gros der SPD Funktionäre
nach dem Reichstagswahlsieg von 1912 auch umzudenken und zukünftig an eine pragmatische
parlamentarische Arbeit ganz im Sinne Englers und seiner badischen Genossen
zu denken, blieb Rosa Luxemburg in dieser Frage unerbittlich. Mitarbeit in
den parlamentarischen Gremien, Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kräften konnte
und durfte es nach ihrem Verständnis des sozialistischen Kampfes nicht geben»

Bei diesem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen fundamentalistischer und real™
politischer Gangart erscheint es um so skurriler, wie Rosa Luxemburg bei ihrem Besuch
in Freiburg 1914 von den badischen Sozialdemokraten, darunter auch von Stadtrat
Engler, als Vorreiterin für die sozialdemokratischen Ziele gefeiert wurde. Denn
gerade die Freiburger Rede ist, wie gezeigt wurde, Rosa Luxemburgs Absage an jede
Form von Kooperation oder auch nur Kompromiß mit den Repräsentanten des herrschenden
Systems und stellt damit auch eine späte Abrechnung mit dem Bernstein-
schen Revisionismus dar, wie er von der badischen SPD aufgenommen worden war.
Engler wußte das. Zu deutlich waren die Seitenhiebe Rosa Luxemburgs auf seine und
seiner Parteifreunde Realpolitik, als daß er sie hätte überhören können. An einer
Stelle ihrer Rede nennt die aufgebrachte Fundamentalistin das Kind sogar direkt beim
Namen, indem sie auf den „Großblock" aus bürgerlichen, nationalliberalen und konservativen
Kräften abhebt, der sich während des Frankfurter Prozesses gegen sie gestellt
habe. Für Rosa Luxemburg war diese Sammlung etwas fremdes, feindliches.
Zusammenarbeit oder sogar Fusion der Sozialdemokraten mit einem solchen „Großblock
", wie sie in Baden Realität waren, bedeutete für sie einen unverzeihlichen Verrat
an der sozialdemokratischen Sache.

Engler seinerseits entschied sich, über Rosa Luxemburgs Spitzen hinwegzuhören.
In seinem kurzen Beitrag im Anschluß an die aufwühlende Rede der parteiinternen
Kontrahentin versuchte er deshalb keine Ehrenrettung seiner Landespartei und ihrer
Fraktion im badischen Landtag. Statt dessen schimpfte er eher allgemein auf die
„Klassenjustiz", die sich auch im „Schutz für das Streikbrechergesindel" niederschlage
, und forderte die Genossen zur eifrigen Parteiarbeit in der Roten Woche auf.

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