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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
116.1997
Seite: 232
(PDF, 57 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1997/0232
ker an die kirchliche Institution binden und sich ihrer Macht über die katholischen
Massen versichern wollen. Die erfolgreiche Inszenierung „ultramontaner" Kirchentreue
des katholischen Volkes diene den Bischöfen zudem dazu, nach den erst kurz
zuvor beigelegten „Kölner Wirren" neue Machtansprüche gegenüber dem preußischen
Staat zu demonstrieren. Die Wallfahrt stelle schließlich auch eine kultur- bzw.
religionspolitische Manifestation gegen das Vernunftchristentum der dominant protestantischen
frühliberalen Bewegung sowie die wachsende Kirchenkritik vieler Gebildeter
dar, Umgekehrt suchten die Anhänger des romtreuen, „ultramontanen" Katholizismus
~ sie wurden erneut von Joseph Görres angeführt - den liberalen „Denkglauben
" als eine bourgeoise Fortschrittsideologie zu entlarven, die mit der
Proklamation des autonomen Individuums, der indifferentistischen Ablehnung aller
Bekenntnisbindung, dem Kampf gegen kirchliche Autorität und der Identifikation
von Heiligem Geist und Zeitgeist alle soziale Ordnung zerstöre und nur dem Atheismus
sowie der politischen Anarchie den Weg bereite.21

In die literarische Debatte um den „Trierer Rock" griff Ronge am 1. Oktober 1844
durch ein „Offenes Sendschreiben an den Bischof Arnoldi" ein.22 Pathetisch kritisierte
er das in Trier inszenierte „unchristliche Schauspiel" als ein „Götzenfest", das
nur „dem Aberglauben, der Werkheiligkeit, dem Fanatismus und, was damit verbunden
ist, der Lasterhaftigkeit Thor und Angel" öffne. Christen seien religiöse „Ehrfurcht
" nur Gott, nicht aber einem von Menschenhand gemachten Kleidungsstücke
schuldig. In diese theologische Kritik, in der Ronge die wallfahrtskritischen Argumente
der protestantischen Aufklärer wiederholte, bezog er ausdrücklich auch die
Ausbeutung der „niederen Volksklassen" durch den Klerus ein. „Die meisten dieser
Tausende (sciL von Pilgern) sind aus den niederen Volksklassen, ohnehin in großer
Armuth, gedrückt, unwissend, stumpf, abergläubisch und zum Theil entartet, und
nun entschlagen sie sich der Bebauung ihrer Felder, entziehen sich ihrem Gewerbe,
der Sorge für ihr Hauswesen, der Erziehung ihrer Kinder ...", So implizierte die Kritik
der kirchlichen Institution von vornherein auch sozialpolitische Argumente.23 Die
politischen Prägungen von Ronges Kirchenkritik zeigten sich zudem im nationalpolitischen
Pathos seiner Sprache. Gegenüber „der tyrannischen Macht der römischen
Hierarchie", die mit ihrem unchristlichen Aberglauben „Deutschlands geistige und
äußere Knechtschaft" bewirkt habe, wollte der „deutsche Volkslehrer" „Ehre", „Freiheit
" und „Glück" des „Vaterlandes" retten.

Ronges „Offenes Sendschreiben" fand sehr viel größere Beachtung als andere
Flugschriften gegen die Rock-Wallfahrten. Dies dürfte damit zu erklären sein, daß er
als „deutscher Volkslehrer" und „katholischer Priester" auftrat, also den bis dahin
primär von Protestanten artikulierten Protest gezielt innerkatholisch, als eine dem
Geist des originären, besseren Katholizismus entsprechende Kritik formulierte.
Ronge trat mit einem doppelten Anspruch auf: Er stilisierte sich zum Anwalt nationaler
Selbstbestimmung gegenüber der ultramontanen Fremdherrschaft Roms; und
er kultivierte den Gestus eines Vertreters des clerus minor, der dem wahren, aufgeklärt
humanen praktischen Glauben des einfachen Volkes Geltung verschaffe, gegen
die dogmatischen Petrifizierungen und herrschaftslegitimatorischen Perversionen
des Christlichen durch Hierarchie und Kirchentheologen. Trotz des Versuchs verschiedener
deutscher Regierungen, durch Zensurbehörden und Polizei den Druck

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