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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
116.1997
Seite: 233
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und die Verbreitung des „Offenen Sendschreibens" zu unterbinden, hatte Ronges
Protestbrief großen Erfolg. Der rationalistische Theologe Karl Zimmermann, ein
einflußreicher Repräsentant des protestantischen Frühliberalismus,24 berichtete in
der von ihm in Darmstadt herausgegebenen „Allgemeinen Kirchen-Zeitung": „wie
ein Lauffeuer verbreitete sich das Wort Ronges durch alle Gauen des deutschen Vaterlandes
, in Hunderttausenden von Einzelabdrücken drang es bis in die niedrigsten
Hütten des Volkes und fand einen von dem Verfasser selbst in diesem Umfange wohl
nicht geahneten Beifall ... Nicht allein die kirchlichen Zeitschriften, sondern auch
fast alle politischen Zeitungen brachten Wochen lang fast in allen ihren Nummern
Nachklänge des kühnen Wortes und Berichte über die Wirkungen, die es gemacht,
über die Zustimmung, die es gefunden."25 Der Leipziger Reclam-Verlag verkaufte in
nur zwei Wochen 50 000 Exemplare von Ronges „Offenem Sendschreiben".

In der liberalen Presse wurde Ronge als neuer religiöser Heros, als ein „zweiter
Luther" gefeiert, der endlich die Reformation des 16. Jahrhunderts vollenden und
dem deutschen Volke die religiöse Einheit bringen werde. Innerhalb weniger Wo-
chen entstand ein Ronge-Kult, der erkennen läßt, wie extrem hoch, aber auch wie irreal
die Erwartungen und Hoffnungen waren, die sich mit der von Ronge initiierten
„Mission der Deutschkatholiken" (G. G, Gervinus)26 verbanden. Für einige Monate
war Johannes Ronge 1845/46 die Identifikationsfigur der Sehnsucht nach deutscher
Einheit und liberaler Reform. Insbesondere in den Kreisen des städtischen „Mittelstandes
" wurde er mit religiöser Inbrunst verehrt. Mehrere Reisen Ronges in - mit
Ausnahme Bayerns und Österreichs - nahezu alle deutschen Territorien glichen
„einem wahren Triumphzuge".27 Bei diesen Reisen hielt Ronge Gottesdienste für
große Personalgemeinden von häufig mehreren tausend Gläubigen; im Ulmer Münster
etwa predigte er 1845 vor 15 000 Menschen und taufte mehrere Kinder auf die
Namen Johannes, Johanna und gar auchRongelia. Magistrate veranstalteten „Reformationsbankette
" und erklärten den „zweiten Reformator" in pompösen Festakten
zum Ehrenbürger, das rationalistische Theologenestablishment des liberalen Protestantismus
schickte dem „Befreier vom tyrannischen Joch der Hierarchie" pathetische
Huldigungsadressen, Männer und Frauen aller Schichten überreichten dem
„neuen Luther" Gastgeschenke und Spenden, und prominente Vertreter des politischen
Liberalismus feierten sein Auftreten als Anbruch einer neuen, besseren Zukunft
, in der das Volk endlich seine religiösen wie politischen Geschicke selbst in die
Hand nehmen werde.28

Neben den von Ronge ausgehenden Impulsen prägte den Deutschkatholizismus
noch eine zweite romkritische Reformtradition, verbunden mit dem Namen des
schlesischen Pfarrvikars Johann Czerski (1813-1893). Unabhängig von Ronges
Auftreten war Czerski schon im Oktober 1844 mit siebzig Anhängern in Schneidemühl
(Posen) aus der römischen Kirche ausgetreten; Hintergrund waren Konflikte
um den Zölibat, die Messe, den Lebenswandel des Geistlichen»29 Die Bildung einer
autonomen Gemeinde in Schneidemühl gab das Signal zur schnellen Gründung
deutschkatholischer Gemeinden an anderen Orten. Unter dem Eindruck der erfolgreichen
Gründung einer Gemeinde in Breslau im Januar 1845 - der erste Gottesdienst
dieser „allgemeinen (katholischen) christlichen Gemeinde zu Breslau" fand am 9.
März 1845 statt - kam es auch an zahlreichen anderen Orten zur spontanen Konsti-

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