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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
118.1999
Seite: 94
(PDF, 32 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1999/0096
kam die Ablösung der Abgaben aus der Feudalzeit nur schleppend voran. Von den
Zehntabgaben, soweit sie sich in staatlicher Hand befanden, waren 88% abgelöst.
Bei den großen Grundherrn waren nur 51,5% und bei den kleineren Grundherrn
sogar nur 36 % der Fälle erledigt. Am schlechtesten war die Quote bei den Kirchen*
Bei anderen Abgaben aus der Feudalzeit sah es nicht viel besser aus.5 In den Städten
war das Zunftwesen, trotz zahlreicher Lockerungen, praktisch immer noch in Kraft.
Vor der Einführung der prinzipiellen Gewerbefreiheit war die badische Regierung
mehrfach zurückgeschreckt.6

Die Städte waren durch die Entwicklung der 30er und 40er Jahre sozial und politisch
mehr gespalten als je zuvor. Zwischen denen, die ihre Gemeinde modernisieren
wollten und liberalen und demokratischen Ideen anhingen und denen, die die traditionelle
Wirtschaftsstruktur aufrechterhalten wollten und konservative politische
Ideen vertraten, gab es tiefe Gräben, Vor allem die 40er Jahre waren durch heftige
politische Auseinandersetzungen geprägt. Diese Konfrontation war im gesamten Bodenseegebiet
verbreitet. Allerdings waren die „Modernisierer" und Liberalen meist,
wie etwa in Uberlingen, in der Minderheit.

Das Verfechten liberaler und demokratischer Ideen war jedoch nicht zwingend mit
dem Streben nach wirtschaftlicher Modernisierung verknüpft. Politische Radikalität
konnte sich auch mit rückwärtsgewandten wirtschaftlichen Vorstellungen verbinden.
In der Stadt war das ähnlich wie auf dem Land. In dem Roman „Die Schwertbergers"
(1844)7 preisen die Konstanzer Handwerker den Herausgeber der Seeblätter Joseph
Fickler, der persönlich ein entschiedener Verfechter der Gewerbefreiheit war, als unerschrockenen
Kritiker der herrschenden Verhältnisse und demokratischen Politiker,
um im gleichen Atemzuge die Durchlöcherung des Zunftwesens zu beklagen: „Ja,
wenn die Zünfte noch wären, was sie dereinst gewesen sind! Wenn sich nicht nach
und nach die leidige Gewerbefreiheit bei uns eingeschlichen hätte! Unsere Gemeindeordnung
taugt den Teufel nicht; sie macht den ausländischen Schluckern (zum
Beispiel aus Württemberg!, G.Z.) alle Thüren und Thore auf; sie schlägt uns todt,
macht uns verhungern, da, wo wir in Freuden leben sollten."8

Vergleichbares gab es auch auf dem Land. Aus dem Dorf Wahlwies zwischen Radolfzell
und Stockach sind uns Forderungen der 1848 revoltierenden Bauern bekannt
, die auf eine „Wiederherstellung der alten Lehensrechte samt den Berechtigten
, die in den alten Urkunden enthalten sind", hinauslaufen.9 Die Wahlwieser Bauern
waren so arm, daß sie nicht das Geld hatten, um die Lasten aus der Feudalzeit
abzulösen. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1857 stellte fest, daß es von den 19
früheren Lehensträgern lediglich 5 geschafft hatten, die Güter in freies, abgelöstes
Eigentum umzuwandeln. Die Ziele der Wahlwieser waren, wie die vieler Meister
und Gesellen, rückwärtsgewandt. Sie konnten sich in ihrer Not nur ein Festhalten an
der alten Lehens Wirtschaft und am Zunftsystem vorstellen. Sie hatten nicht das
nötige Geld, um nach vorn zu blicken und neue Wege zu gehen. Die Gewerbefreiheit
und die „Besitz- und Grundstücksfreiheit" war für sie nur ein Schreckgespenst, das
sie der wenigen Sicherheiten der alten Systeme zu berauben schien.

Die gleichen Wahlwieser Bauern hatten den Heckerzug mit einem Triumphbogen
begrüßt, auf dem in großen Lettern stand: „Vivat Republik!"

Diese konfliktgeladene Welt der 40er Jahre geriet 1846/47 durch eine große

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