Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
118.1999
Seite: 213
(PDF, 32 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1999/0215
scharfer Witz und ihr Sarkasmus durch, nicht zuletzt in der Art, wie sie besonders drastische
Ausfälle gegen die Nazis verschlüsselt. Daneben versucht sie aber auch, ihren Sohn aus der
Ferne zu erziehen und ihm ihre „marxistische Klarheit" nahezubringen (S. 74, 22.2.1936).

Als die Situation immer schwieriger wird, beginnt sie, die Emigration vorzubereiten. Erschüttert
erlebt sie die „Kristallnacht" und die Deportation jüdischer Männer in das KZ
Dachau. Aber immerhin: „Mancher Familie wurde zwischen dunkel und siehsch mi nit am
nächsten Abend von arischer Seite wenigstens so viel Bettzeug gebracht, dass kleine Kinder
und Greise nicht auf dem nackten Fussboden kampieren mussten, nachdem alles Bettzeug zerschlitzt
, zerschlagen oder geraubt war" (S. 87-88,17.11.1938). „(*..) vor Weh und Zorn (hätte
sie) herausschreien mögen", als sie „die ausgebrannten Ruinen der Synagoge sah". Ihr Eierverkäufer
verlor seine Konzession, weil er gesagt hatte: „Wenn nu mein Vater ä Jud gsi wär,
wär i au e Jud, dann tät heut mei Gotteshaus brenne!" (S. 92. Fragment ohne Datum). Man
sprach von der Einrichtung eines Ghettos auch in Freiburg (S. 93, vermutlich 6.12.1938). Jetzt
wurde es höchste Zeit, das Land zu verlassen. Die Briefe sind nun voll von der Beschreibung
der Hürden, die überwunden werden müssen. Endlich ist es soweit: Am Tage des Kriegsausbruchs
, am L September 1939, erhält Käthe Vordtriede die Passbewilligung, einen Tag später
wird er ausgestellt, sie fährt mit dem Zug nach Basel, muß sich noch einer demütigenden Körperkontrolle
unterziehen, dann ist sie legal ausgereist - aber illegal in der Schweiz, weil die
Zeit nicht mehr für ein Visum gereicht hat. So kommt sie in das Basler Grenzpolizeigefängnis,
aus der sie ein Freund der Familie befreit und nach Kreuzlingen bringt. Dieser Verlauf ergibt
sich aus Andeutungen in den Briefen (S. 128-129, L 10.1939; 146,6>1.1940), und er läßt sich
mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit auch gegen anderslautende Erinnerungen aus
Akten im Basler Staatsarchiv belegen. Die Basler Behörden setzen dabei ihre - im Verhältnis
zur schweizerischen Bundespolitik - hilfsbereitere Haltung gegenüber der Eidgenössischen
Fremdenpolizei durch (vgl. Manfred Boschs Nachwort, S. 375-379).

Angenehm berührt von der Freundlichkeit vieler Schweizerinnen und Schweizer urteilt
Käthe Vordtriede um so schärfer über den Opportunismus mancher Geschäftsleute, die die Situation
der Emigranten ausnutzen, und vor allem über die restriktive Politik der Behörden, die
wenig von „Demokratie und Freiheit und Fortschritt" spüren lassen (S. 174, 10.6.1940). Sie
hat auch eine Erklärung für dieses Verhalten: „Wir [die Emigranten] sind eine politische Gefahr
für die Schweiz! Man fürchtet ein Stirnrunzeln Hitlers!" (S. 147, 6.1.1940). Die mühsamen
Verhandlungen mit den Behörden, die Angst, daß die Toleranzbewilligung jederzeit widerrufen
werden kann, die Furcht, daß die Nazis einmarschieren könnten und sie dann ausgeliefert
würde, belasten sie sehr. Andererseits mischen sich in ihr Bild von der Schweiz und
ihren Bewohnern - namentlich von den Ostschweizern - zahlreiche Klischees, sie tut sich
schwer im täglichen Umgang, und aus den Briefen wird auch deutlich, daß Käthe Vordtrieder
in ihrem Urteil hart und ungerecht sein konnte. Dies bekamen ihre Kinder ebenfalls immer
wieder zu spüren. Manfred Bosch deutet in seinem Nachwort einige Zusammenhänge an. In
den Briefen hat er hingegen die innerfamiliären Konflikte weitgehend ausgespart. Dieser Entscheidung
ist selbstverständlich zuzustimmen, denn derartige Vorgänge gehen niemanden
außer der Familie etwas an. Manchmal wünscht sich der Leser dennoch etwas mehr Wissen
über Frau Vordtriedes Persönlichkeit, um ihre Urteile besser nachvollziehen zu können.

Nachdrücklich betreibt sie von Kreuzlingen, dann von Frauenfeld aus ihre Weiterreise in die
USA zu ihrem Sohn, wieder verbunden mit unendlichen Formalitäten. Daneben schreibt sie
noch einen Aufsatz „Mein Leben unter Hitler", den sie als Beitrag zu einem von amerikanischen
Universitäten ausgeschriebenen Wettbewerb für Emigranten einsendet und der leider
verlorengegangen ist. Mit Entsetzen verfolgt sie das Schicksal der im Oktober 1940 nach Gurs
deportierten Juden aus Baden und der Pfalz, unter denen sich viele Bekannte befinden; einigen
versucht sie, auf Umwegen etwas Unterstützung zukommen zu lassen.


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1999/0215