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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
120.2001
Seite: 133
(PDF, 59 MB)
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Puschkino, Sluzk, Strelna. Ich übermittelte auch Angaben über die Produktion der
Firma N 4 (Geschosse, Sprengkörper für Geschosse und Bomben)."

Die Unterschrift Michail Dmitrewskis unter dieses „laut meinen Angaben verfaßte
Protokoll" ist kaum zu erkennen, während sie am 17. Oktober noch gut lesbar war.
Unsere Phantasie reicht nicht aus, um sich vorzustellen, was in der Zwischenzeit mit
Dmitrewski geschehen war.

Nun ging alles seinen Lauf. Am 28. Oktober teilte man dem Beschuldigten, der
sich bis dahin im Leningrader Untersuchungsgefängnis des Volkskommissariats für
innere Angelegenheiten aufhielt, den bereits am 15. Oktober (!) von Jemeljanow ge-
fassten Beschluss mit: „Dmitrewski M. S. ist überführt, sich als Agent eines ausländischen
Staates mit Spionage- und Diversionstätigkeit beschäftigt zu haben." Am 5.
November wurde er noch einmal verhört. Die einzige Frage lautete: „Wurden Sie für
Ihre Spionagetätigkeit entlohnt?" Dmitrewski antwortete: „Ja, in den Jahren von
1925 bis 1937 erhielt ich insgesamt 115 000 Rubel." Wieder ist die Unterschrift fast
nicht zu erkennen. Anschließend - die Angabe des Tages fehlt im Dokument - „bestätigte
" der Major der Staatssicherheit Schapiro die Anklage entsprechend der „Geständnisse
". „Der Angeklagte hat seine Schuld völlig zugegeben. Die Sache wurde
als abgeschlossen angesehen und gemäß dem Befehl des Volkskommissars für innere
Angelegenheiten der UdSSR Jeschow vom 11.8.1937 N 00485 ins Volkskommissariat
geschickt, um sie entsprechend der I. Kategorie zu betrachten." Was die
I. Kategorie bedeutete, lässt sich leicht erraten. Ein bemerkenswerter Zusatz findet
sich noch: „Beweisstücke zur Sache sind nicht vorhanden."

Oberleutnant Polikarpow fertigte - wie alle Dokumente ist auch dieses als „vollkommen
geheim" qualifiziert - am 24. November 1937 das abschließende Protokoll
aus: „Am 24.11.1937 habe ich laut Anordnung vom 21.11.1937 V 192878 des Kommissars
1. Ranges Zakowski und der Anordnung des Kommissariats für innere Angelegenheiten
vom 21.11.1937 V 413583 das Urteil bezüglich Dmitrewski M. S.
vollstreckt." Ein letztes Schreiben enthält die Akte. Am 11. Oktober 1962 erteilt unter
dem Zeichen „Protokoll N 48/a" der Inspektor der Verwaltung der Staatssicherheit
für das Leningrader Gebiet beim Ministerrat der UdSSR die Auskunft: „Dmitrewski
Michail Simeonowitsch ist am 27. November 1937 von der Kommission des
Volkskommissariats für innere Angelegenheiten und dem Staatsanwalt der UdSSR
zum Tode verurteilt worden." Hier wird somit bestätigt, dass dem Urteil erst
nachträglich der Schein des Rechts gegeben wurde und man sich nicht einmal die
Mühe machte, das entsprechende Schriftstück vorzudatieren. Dass 1962 eine derartige
, vermutlich interne Auskunft zustande kam, hängt wahrscheinlich mit den auf
dem 22. Parteitag von 1961 noch einmal in Gang gekommenen Entstalinisierungs-
bemühungen Chruschtschows zusammen. Die Verbrechen der Stalin-Zeit sollten im
Einzelnen untersucht werden. Nach einigen spektakulären Ereignissen - wie der
Entfernung der Leiche Stalins aus dem Lenin-Mausoleum - blieb die Erforschung
der Vergangenheit allerdings bald stecken.40

In den dürren Worten der Protokolle schimmern das Elend und das Leid durch,
das Michail Dmitrewski wie so viele Menschen damals erdulden musste. Zugleich
wird ein wenig von der unerbittlichen Maschinerie des Terrors deutlich, bei der das
Urteil bereits vor der Verhaftung feststand und es nur noch einiger „Formalitäten" -

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