Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
120.2001
Seite: 140
(PDF, 59 MB)
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Bis zu dieser Zeit hatte Simeon immer noch das Bewusstsein, für den Kommunismus
zu arbeiten. Er empfand dies allerdings sehr konkret: Was er leistete, sollte
den Menschen jetzt und in der Zukunft zugute kommen. Und das blieb von seiner
Tätigkeit. Die Idee des Kommunismus brach hingegen für ihn zusammen, nachdem
ihm bewusst wurde, was alles unter dieser Losung geschehen war. Den ersten Anstoß
zum selbständigen Denken gab ihm Gorbatschows Rede vom 10. Dezember
1984, in der dieser zum erstenmal öffentlich - noch zu Amtszeiten seines Vorgängers
Konstantin U. Tschernenkos (1911-1985) - seine Ideen von Perestroika, Glas-
nost und Selbstverwaltung vorstellte.47 Intensiv beschäftigte sich Simeon dann mit
den Verbrechen im Stalinismus, denn obwohl auch schon zu Lenins Zeiten viel geschah
, was er zunächst nicht glauben konnte, als es veröffentlicht wurde,48 sieht er
den entscheidenden Bruch doch in der Stalin-Zeit. Seit Gorbatschows Perestroika
konnte man endlich auch öffentlich freier sprechen. Aber: „Uns - mich persönlich -
hat das Leben gelehrt: erst denken, dann sprechen." Immer noch erschrecken alle in
der Familie, wenn es überraschend an der Tür klingelt. Immer noch vermuten sie,
dass sie überwacht werden, wenn ein Brief nicht ankommt oder es bei Telefongesprächen
in der Leitung knackt. Und immer noch können sie auch Beispiele anführen
, wie gut die Miliz über Einzelheiten ihres Lebens Bescheid weiß.49

1988 gelang es den Verwandten in Baden endlich, eine Verbindung zu den Dmi-
trewskis herzustellen. 1991 fuhr Simeon auf deren Einladung zum ersten Mal wieder
in seine Geburtsstadt Freiburg. Im Stadtarchiv und im Universitätsarchiv forschte
er nach Hinweisen über seine Eltern, fand die Meldekarte, die den Freiburger Aufenthalt
dokumentierte, fand die Unterlagen über das Studium seines Vaters und seine
Tätigkeit als Universitätslektor für Russisch - ein bewegendes Erlebnis. 1994 kam
dann das Ehepaar noch einmal zu Besuch. Inzwischen hatte das Komitee für Staatssicherheit
die Unterlagen über das Verfahren gegen Michail Dmitrewski zur Verfügung
gestellt. Simeon Dmitrewski konnte nun die Geschichte seines Lebens rekonstruieren
und über sie berichten. Der Kreis hatte sich geschlossen.

Anmerkungen

1 Diese Arbeit ist nur möglich geworden durch ein ausführliches Gespräch, das ich am 11. Oktober
1994 mit Simeon Michailowitsch Dmitrewski - dem Sohn des hier erwähnten Studenten - und seiner
Gattin Nadja in Kirchhofen unter Vermittlung des Ehepaares Weisbrod führen konnte. Dafür bin
ich außerordentlich dankbar. Herrn und Frau Weisbrod danke ich weiterhin dafür, dass sie mir Unterlagen
ihrer eigenen Nachforschungen zur Geschichte der Familie Dmitrewski sowie Bildmaterial
zugänglich gemacht haben, Herrn Dr. Adolf Weisbrod (Freiburg) für Unterstützung bei der Drucklegung
. Wichtige Hilfestellung haben dabei geleistet das Stadtarchiv Freiburg i. Br., das Universitätsarchiv
Freiburg i. Br. sowie das Universitätsarchiv Heidelberg. Den dortigen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern gilt deshalb ebenfalls mein Dank. Wenn nicht anders zitiert wird, stammen die Angaben
aus dem erwähnten Gespräch. Für die Hilfe bei der Übertragung der Gesprächsaufzeichnung
in eine schriftliche Fassung danke ich Marianne Grossmann, für die Unterstützung bei einigen Recherchen
Nina Klingler. - Die Schreibweise russischer Namen und Begriffe folgt aus Gründen der
Lesbarkeit der vereinfachten Umschrift nach den Regeln des Duden.

2 Lermontowskaja Enziklopedija. Moskau 1981, S. 140. Dmitrewskis Gedichte wurden teilweise 1842
in der Zeitschrift „Syn otetschestwa" („Sohn des Vaterlandes") veröffentlicht. Zur russischen Behördenstruktur
im Kaukasus Erik Amburger: Geschichte der Behördenorganisation Russlands von
Peter dem Grossen bis 1917. Leiden 1966, hier S. 418.

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