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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
120.2001
Seite: 270
(PDF, 59 MB)
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auf eine zertrümmerte, von geschäftigen Bauameisen durchwuselte Welt und den
schmutzigen deutschen Rhein. Bonn? Gab es nicht. Wir standen auf dem gewaltigen
Kölner Dom. Kultur kann man besteigen.

Dazu Max Frisch, 1949: „In Deutschland wird wieder, als hätte es daran gefehlt,
allenthalben nichts als Kultur gemacht, Theater und Musik, Dichterlesungen, Geistesleben
mit hohem und höchstem Anspruch. Aber meistens ohne Versuch, den
deutschen und vielleicht abendländischen Begriff von Kultur, der so offenkundig
versagt hat, einer Prüfung zu unterwerfen.

Leider bin ich nicht imstande, kurz und bündig zu sagen, was wir unter Kultur verstehen
sollen. Zu den entscheidenden Erfahrungen aber, die unsere Generation hat
machen müssen, gehört die vielfach offenbarte Tatsache, daß, um es mit einem namentlichen
Beispiel anzudeuten, ein Mann wie Heydrich, der Mörder von Böhmen,
ein hervorragender und sehr empfindsamer Musiker gewesen ist, der sich mit Geist
und echter Kennerschaft, sogar mit Liebe hat unterhalten können über Bach, Händel
, Mozart, Beethoven, Bruckner. Nennen wir es, was diese Menschenart auszeichnet
, eine aesthetische Kultur. Ihr besonderes Kennzeichen ist die Unverbindlichkeit.
Es ist eine Geistesart, die das Erhabenste denken und das Niederste nicht verhindern
kann, eine Kultur, die sich säuberlich über die Forderungen des Tages erhebt. Kultur
als sittliche Schizophrenie ist sicher nicht das, was uns retten kann. Es ist nicht
überraschend, aber erschreckend, wieviele Briefe aus Deutschland eben diese Geistesart
vertreten. Sie erwähnen, wenn von der deutschen Frage gesprochen wird, immer
wieder Goethe, Hölderlin, Beethoven, Mozart und all die andern, die Deutschland
hervorgebracht hat, und es geschieht fast immer im gleichen Sinn: Genie als
Alibi. Im Grunde ist es die harmlos-grässliche Vorstellung vom Künstler, der, ledig
aller Zeitgenossenschaft, ganz und gar in den Sphären des reinen Geistes lebt, sodaß
er im übrigen durchaus ein Schurke sein darf beispielsweise als Staatsbürger, überhaupt
als Glied der menschlichen Gesellschaft."4

Unsere 16-jährigen Freiburger Deutschlandfahrer pedalieren indessen durch dieses
Bonn, ohne ein Wort über die neue Hauptstadt einer neuen deutschen Republik
mit einem Ein-Stimmen-Mehrheitskanzler Adenauer ins Tagebuch zu setzen. Sie rollen
nach Frankfurt, in die Stadt, in der noch 1946 europäisch hoffende sozialistische
CDU-Gründer wie Eugen Kogon und Walter Dirks Erfahrung, Glaube und Handeln
in einem wirklich neuen Aufbruch zu vereinigen gehofft hatten. Doch im Stockwerk
über deren Zusammenkünften hatten sich Krämer-Geister zusammengefunden, hatten
bereits wieder Amerikaner mit den tüchtigen alten Wirtschaftseliten paktiert, die
eben noch Hitlers Sponsoren, Lieferanten und Maschinisten und Räubergesellen gewesen
waren.

Indessen schreibt in Frankfurt, Wiesenau 8, nahe dem Palmengarten in jenen
Tagen die 45-jährige Dichterin Marie-Luise Kaschnitz eine „Beschwörung":

„Hebt es schon an, dies / Raunen: wie war es doch ? / Schlägt uns in Bann, dies /
Tastende: wißt ihr noch? / Ach, schon beschwören wir / und schon erhören wir / Zeiten
des Grauens / Wie lichte Gefilde, / Wie schöne Gebilde, / Feurig im Blauen. /
Kaum erst entronnen / Stockt unser Gang ... eben noch weinten wir / Und schon erscheint
es mir / Wir sehnen's herbei."5

Am 28. August 1949, als unsre Radler nach einem mutigen Bad im Main vor die

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