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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
120.2001
Seite: 271
(PDF, 59 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2001/0271
Ruine des Goethehauses kurven, ersehnt die deutsche Welt zwischen Trümmern die
gnadenhafte Ausgießung der vor 200 Jahren so segensreichen Geburtsgenien Goethes
auf ein unzerstörbares, also auf das edle, eigentliche Deutschlandbild. Auf dem
Römer stellt man die Räder ab, ist Mensch, hier darf man's sein. Man kauft die
Goethemarke mit dem Sonderstempel, knackt eine Goethewurst mit Senf. Das findige
Verramschen des großen Mannes finden die Radwanderer schon ein wenig wirtschaftswunderlich
. Aber Goethe ist ja nicht wie die alte Reichsmark abgewertet. Am
Goethewesen wird die deutsche Welt genesen.

Indessen war ein paar Tage vorher der berühmte Emigrant Thomas Mann hier gewesen
. Am 25. Juli hatte er in der Paulskirche in kalte Gesichter hineingesprochen:

„Man zögert, die Grenze eines Landes wieder zu überschreiten, das einem durch
lange Jahre ein Alpdruck war; von dessen Fahne, wo sie sich im Ausland zeigte, man
mit Grauen den Blick wandte und wo, wäre man dorthin verschleppt worden, ein
elender Tod einem sicher gewesen wäre ... Man will wahrhaben, ich hätte keine
Ahnung gehabt von der Gewalt des Terrors. Unwissend und erfahrungslos, in bequemster
Lebenslage, hätte ich der Tragödie meines Volkes von weitem zugesehen
und ins Blaue hinein darüber geschwätzt. „Er kann sagen" schrieb jemand, frei nach
Goethe, „er kann sagen, er sei nicht dabei gewesen." Nicht doch, ich bin dabeigewesen
...

Nur Geister, die nicht wollen, daß etwas geschehe, daß irgend etwas sich ändere,
können behaupten, nie sei es Goethe ernst gewesen mit Fausts 'höchstem Augenblick
', mit seinem Sozialwerk der Menschenbeglückung ...

Nie hätte er sich dazu hergegeben, gegen ein Neues, das kommen wollte, überalterte
oder schon heuchlerisch gewordene Ideale auszuspielen ... und (er) hat sich den
Namen eines Konservativen, der nur das Bestehende bewahren wollte, schönstens
verbeten, denn vieles, was bestehe, sei gar dumm und schlecht ... er hat gerufen:
'Entzieht euch dem verstorbenen Zeug,/ Lebendiges laßt uns lieben!"'6

Die Goethestadt, die sich gerade mit flatterndem Flügelschlag der Schuhe des
Merkur ins Wirtschaftswunder stürzte und sich in einem kulturbeheizten, flott re-
staurativen und antikommunistischen Kapitalismus einzurichten begann, hörte derlei
ohne Amüsement. Und dann erlaubte sich dieser Emigrant auch noch, sich in sowjetischer
Karosse nach Weimar kutschieren zu lassen, um seine Epistel auch diesen
gottlosen ostdeutschen Kommunisten vorzulesen.

Vergleichbar Unabhängiges und den Abschottungszwängen des kalten Krieges
Entgegengesetztes leistete sich indes in unserm Jahre 1949 der einsame und durch
die westdeutschen Wiederbewaffnungspläne beirrte Reinhold Schneider. Er hatte
1946 in der Freiburger Universität einer radikalen Umkehr der Gesellschaft, der gewissenserforschenden
Auseinandersetzung mit Adolf Hitler das Wort geredet. Die
Einladung des neuen Bundeskanzlers Adenauer, für dessen Politik als Ghostwriter
Festreden zu verfassen, lehnt er ab, nimmt sich heraus, 1949 in der Ostberliner Zeitschrift
Der Aufbau drei Beiträge zu veröffentlichen, darunter das christliche Bekenntnis
Die Macht des Gewissens. Der Ärger, den er sich mit diesem DDR-Kontakt
einhandelt, ist nachhaltig und beträchtlich, um so mehr, als er sich in den folgenden
Jahren öffentlich gegen die Politik der Wiederbewaffnung und der atomaren
Aufrüstung ausspricht.

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